Neofaschismus – Faschismus mit neuen Elementen und alten Gefahren

Die VVN-BdA informiert auf einer aktuellen Ausstellung in Traunstein über den Neofaschismus. Dabei soll deutlich gemacht werden, dass aktuelle rechtsextreme Erscheinungen sich im Wesen nicht von dem alten Faschismus unterscheiden.
Seit über 50 Jahren engagiert sich Friedbert Mühldorfer im VVN-BdA. Er fordert eine stärkere Anerkennung des Antifaschismus.
Foto: Sabrina Teifel

Zwar hat Deutschland mit dem Ende des 2. Weltkriegs einen – zumindest scheinbar – klaren Schlussstrich unter den Faschismus gezogen, jedoch hat dieser sich an vielen Stellen wieder an die Oberfläche geschlichen. Besonders in den letzen Jahren hat er seinen Weg aus gesellschaftlichen Randgruppen zurück auf politischen Boden gefunden. Welche Faktoren, Umstände und Strömungen hierbei eine große Rolle spielen zeigt die VVN-BdA in ihrer aktuellen Ausstellung „Neofaschismus in Deutschland“, in deren Rahmen ich für Alerta in Traunstein mit einem der Organisatoren sprechen durfte. 

Friedbert Mühldorfer ist ehemaliger Gymnasiallehrer, der sich bereits seit Mitte der 70er Jahre mit der Thematik befasst. Schon im Studium lernte er in der VVN-BdA München ehemalige Verfolgte kennen, führte später beispielsweise Schulklassen durch das KZ in Dachau und initiierte ab 1985 die Gedenkfeier zum Todesmarsch Surberg. Er ist außerdem Autor einiger Bücher und Broschüren, in denen er detailliert auf die Geschichten Verfolgter im Landkreis Traunstein eingeht.

Lassen Sie uns zunächst einmal die Begrifflichkeiten klären. Die Rede ist von Neofaschismus – aber wie „neo“ ist denn der Neofaschismus tatsächlich? 

Ich glaube, es kommt auf den Blickwinkel an. Man hat früher diesen Begriff Neofaschismus oder Neonazismus einfach als Abgrenzung davon, wie der Faschismus von den älteren [Nationalsozialisten] geprägt worden ist, verwendet. Und auch als Abgrenzung von den Organisationen, die es nach der Befreiung gegeben hat, die wirklich von damaligen Faschisten, von Nazis, gegründet worden sind und in denen auch Nationalsozialisten tätig waren. Die neu entstandenen Organisationen, die dann nicht mehr in erste Linie „altes“ Personal hatten, die fallen oft unter den Begriff Neofaschismus. 

Es ist also hauptsächlich eine Personalfrage? 

Ja, so kann man es sehen und so wird es auch häufig gesehen.

Dann gibt es wieder andere, die sagen, grundsätzlich alles was nach 1945 entstanden ist, ist „neo“, auch wenn es inhaltlich noch immer das Gleiche ist. Da sagt man, der Faschismus in Deutschland wurde 1945 zerschlagen und alles was danach kommt, ist Neofaschismus. Und dann gibt es noch eine dritte Überlegung die sagt, der Neofaschismus so wie er sich heute zeigt, ist im Wesentlichen nicht mehr der alte Faschismus.

Was sind die tatsächlichen, signifikanten Unterschiede? 

Seit dem Ende des Faschismus 1945 muss sich jede neue faschistische Bewegung – ich sag’s jetzt mal in Anführungszeichen – „tarnen“. Also offen darauf Bezug nehmen kann man in der Öffentlichkeit nicht, wenn man etwas erreichen will.

Intern machen sie es, das ist ganz klar, auch auf Konzerten, da laufen sie mit Hakenkreuz-Fahnen rum und haben entsprechende Liedtexte und so weiter, aber nach Außen hin kann eigentlich eine Organisation nicht mehr direkten Bezug nehmen auf den Faschismus, das ist quasi verbrannt. Das ist ein wichtiger Punkt, denn deshalb sind diese Formen des Faschismus neu, weil es auf andere Art gemacht werden muss, als es die NSDAP gemacht hat.

Aber ist der Faschismus im Kern nicht einfach der gleiche geblieben? 

So vor 10, 20 Jahren gab es eine starke Tendenz zu sagen, diese „neue Rechte“, die bringt neue Elemente rein, z. B. den Ethnopluralismus usw., aber ich glaube, es stellt sich im Laufe der Zeit raus, dass die Kerngedanken letztlich doch wieder auf die alten Elemente zurückgehen. Sie werden halt abgewandelt, je nach Gelegenheit und nach Situation, aber im Kern kann man sagen, dass die wesentlichen Elemente bleiben. Wenn wir jetzt sagen, der klassische Faschismus besteht im Kern aus Nationalismus, Militarismus, dem Führerprinzip, aus Rassismus, Antisemitismus und Sozialdarwinismus, dann zeigen sich diese Elemente auch heute – in angepasster Form. 

Nehmen wir zum Beispiel den Antisemitismus. Offenen Antisemitismus wird man heute in der Öffentlichkeit kaum finden. Heute werden Umschreibungen benutzt – von Einzelpersonen, die die Weltwirtschaft lenken bis hin zu Höckes „Mahnmal der Schande“.  Dann nutzten Impfgegner für ihr Abzeichen „ungeimpft“ den Davidstern. Das ist natürlich ein Hinweis auf den Antisemitismus, es schafft eine Betroffenheit bei den Angehörigen von Verfolgten. 

Es schafft meines Erachtens eine Gemengelage bezüglich Antisemitismus, aber man kann nicht sagen dass der, der dieses Zeichen trägt, Antisemitismus als Kernelement hat. So weit würde ich nicht gehen, weil ich nicht weiß, ob er tatsächlich Antisemit ist, oder ob es reine Provokation ist. Trotzdem ist es natürlich eine Gefahr, so etwas zu machen, weil es ja Auswirkungen hat, weil es eine Verharmlosung dessen ist, was damals passiert ist. Antisemitismus ist also durchaus auch heute noch Teil des Faschismus, aber er tritt nicht mehr so plakativ in Erscheinung.

Die AfD zum Beispiel hebt ihre Israelfreundlichkeit besonders hervor und unter diesem Deckmantel tolerieren sie innerhalb der Partei massiven Antisemitismus.

Jetzt sagen viele, dass man mit diesem Blick auf den Neofaschismus und den Warnungen diesbezüglich überdramatisiert, weil so was wie damals, das könne heute ohnehin nicht mehr passieren. Wie sehen Sie das? 

Ich denke, es ist nicht vorstellbar, dass es in der gleichen Art wieder passiert, wie der historische Faschismus aufgetreten ist. Die Gefahr liegt meines Erachtens eher darin, dass die Zunahme dieser Bestrebungen und dieses Denkens die Politik verändern wird. 

Da möchte ich ein Beispiel bringen, das Europa betrifft: Wir hätten uns ja auch nicht vorstellen können, dass wie z. B. in Ungarn oder Polen, durch legale Maßnahmen der Regierung Bereiche der Justiz ausgeschalten werden oder dass Medien so stark kontrolliert werden, dass quasi keine Debatte mehr stattfinden kann. Und davor sehe ich auch die Bundesrepublik überhaupt nicht gefeit. Durch ein Erstarken der rechten Bewegungen und den Kulturen die damit verbunden sind, kann sich ein unglaublicher Druck entwickeln, der in solche Richtungen gehen könnte. 

Ich glaube auch, dass das heute diffuser ablaufen würde. Ein Abbau von demokratischen Rechten, Beschneidung der Pressefreiheit, der Meinungsfreiheit und Einflussnahme auf die Justiz, Infiltration der Sicherheitsbehörden, da entsteht eine Art Zangengriff von verschiedenen Seiten her, durch den die Republik durchaus in eine solche Richtung gedrängt werden könnte, Richtung autokratischen Staat.

Fotos: Sabrina Teifel

Nun ist es aber ja so, dass sich ja gerade die Rechten immer als die „wahren Demokraten“ darstellen. Empfinden die sich selbst wirklich so, oder ist das eine ganz bewusste Darstellung nach Außen, um die Massen hinter sich zu scharen – überspitzt gesagt so nach dem Motto „Hier wählt uns, danach ist aber Schluss mit Demokratie“? 

Der Prozess wird vielleicht nicht so abrupt von weiß zu schwarz, passieren, aber ich glaube auch, dass es natürlich um die Wirkung in der Öffentlichkeit geht. Gegen Demokratie aufzutreten geht nicht. Dazu sind die Umfragen zu deutlich, Demokratie hat einen hohen Stellenwert. Wenn man aber deren Demokratiebegriff genauer anschaut, wird man merken, dass das mit Demokratie nichts zu tun hat, da diese ja die Gleichheit der Menschen voraussetzt. Demokratie heißt Volksherrschaft. Aber wer ist das Volk? Da wird die Gruppe sehr schnell immer geringer, wenn man die Weltanschauungen der Rechten bedenkt. Letztlich läuft es sehr häufig darauf hinaus, dass als Volk, also als Basis der Demokratie, nur anerkannt wird, wer deutscher Abstammung ist. 

Es gab noch vor der „Machtergreifung“ Hitlers ein Stickeralbum, wie man es heute mit Fußballspielern usw. kennt, von Adolf Hitler selbst. Es war Teil der Wahlkampf-Propaganda der NSDAP und voller Versprechen und Verheißungen, die die Nazis dem Volk machten. Schockierenderweise sieht man darin die selben Versprechungen in genau der selben Art und Weise, wie sie auch der Neofaschismus heute wieder vorbringt. Kann man in der Art der Propagandagestaltung also eine eindeutige Parallele erkennen? 

Auf den zweiten Blick würde ich sagen, da lassen sich sehr viele Dinge letztlich reduzieren auf diese Kernelemente, die auch damals in der Propaganda üblich waren. Die Nazis haben ja auch gesagt: „Wählt uns, wir sind für die kleinen Leute da, die anderen vertreten euch nicht!“ Diese Position ist heute in der faschistischen Propaganda genauso vorhanden und zeigt im Kern auch völkisches Denken. Volk, Nation, Heimat – gerade bei uns in der Gegend [Südostbayern] spielen diese Begriffe eine große Rolle.

Was sich hinter dem Heimatbegriff verbirgt, is sehr häufig Ausgrenzung. Auch das ist eine diffuse Wirkung von rechtem Denken. Meines Erachtens waren wir da vor 20 Jahren schon mal weiter, insofern dass der Heimatbegriff schon einmal stärker problematisiert worden ist und man ihn nicht mehr so leichtfertig hergenommen hat. Heute ist dieser Begriff fast üblich, es gibt kaum eine Rede ohne ihn. Häufig aber verbirgt sich dahinter tatsächlich Alltagsrassismus.

Nun spricht ja auch die Ausstellung vom „neu verpackten“ Rassismus. Wie kann man Rassismus neu verpacken?  

Zum Beispiel indem man nicht mehr sagt, die jüdische Rasse oder People of Colour seien minderwertig, was ja durchaus eine Zeit lang Gang und Gäbe gewesen ist. Heute wird der so genannte Ethnopluralismus benutzt und man sagt ja, alle dürfen leben auf diesem Planeten, aber an ihrem Platz, also dort wo sie eigentlich hingehören. Dem Ganzen liegt allerdings schon eine falsche Annahme zu Grunde, nämlich dass es Gebiete mit angestammter Bevölkerung gäbe. Wenn man genau hinschaut, ist das aber nirgendwo der Fall. 

Es ist ja längst wissenschaftlich erwiesen, dass die Rassentheorie nichts weiter als Unsinn ist. Umso mehr ist es doch unverständlich, dass diese Theorien immer noch so großen Anklang finden? 

Es wird ja nicht mehr offen so gesagt, der Begriff „Rasse“ kommt so eigentlich nicht mehr vor in der Öffentlichkeit, weil dieser Begriff auch verbraucht ist. Intern wird er natürlich noch benützt, aber sonst tauchen da heute eher andere Begriffe auf. Kultur, zum Beispiel, ist so ein Begriff, der heute oft hergenommen wird indem gesagt wird: „Jedes Volk hat seine eigene Kultur.“ Tatsächlich steckt dahinter ein rassistisches Muster. 

Die Verwendung von Begriffen wie Heimat, Volk, Kultur muss man eigentlich immer hinterfragen, denn letztlich geht es dann doch oft darum zu sagen, unser Raum hier ist eigentlich weiß und hier leben die Deutschen und die müssen hier das Sagen haben und die anderen nicht. Im Kern ist es also doch wieder Rassismus. Und gerade hier in Bayern werden diese Begriffe natürlich besonders häufig verwendet.

Mit dem Heimatbegriff spannt sich auch leicht der Bogen zur – wie die Ausstellung sie nennt – „braunen Bio Bewegung“, die auch gerade hier in Bayern mit verschiedenen Organisationen (z. B. der Anastasia-Bewegung) in unterschiedlichen Bereichen aktiv ist. Der breiten Öffentlichkeit bleiben diese Aktivitäten größtenteils verborgen, obwohl es beispielsweise hoch frequentierte Gärtnereien und Gemüsehändler sind, die von solchen Organisationen geführt werden. Wieso agieren diese so im Verborgenen? 

Da wird eben deutlich, dass man schon sehr genau weiß, was erwünscht, was machbar und sagbar ist. Da ist meiner Meinung nach in der Öffentlichkeit noch eine große Barriere da und die Ausstellung soll auch dazu beitragen, dass diese Barriere erhalten bleibt. Das ändert zwar nichts an der Grundproblematik, aber es ist gut, dass diese Barriere da ist und dass diese Gärtnereien zum Beispiel nicht auf ihren Flyern völkisches Gedankengut verbreiten können wenn sie eigentlich Blumen verkaufen wollen. 

Wäre es nicht besser, es würde öffentlich sichtbarer geschehen und man würde sie auf Anhieb erkennen um sie entlarven und meiden zu können? 

Darauf kann ich keine allgemein gültige Antwort geben. Ich glaube, dass es wichtig ist diese Barriere hoch zu halten, weil man nicht weiß wie groß die Wirkung wäre, würde man das in der breiten Öffentlichkeit mitbekommen.  So ist es sehr eingeschränkt auf die Szene und die einschlägigen Kanäle. Das ist zwar schlimm genug und auch nicht so einfach kontrollierbar, aber wenn das alles offen einsehbar wäre, würde es sich noch schneller verbreiten. 

Jetzt könnte man diese braune Bio-/Esoterikszene ja noch als relativ harmlosen Unsinn abtun, aber es gibt da ja auch noch die andere Seite, die wirklich mit Taten Ernst macht. Den Rechtsterrorismus. Wie präsent ist er wirklich und warum fehlt augenscheinlich so ein bisschen der öffentliche Blick darauf? 

Die Ausstellung versucht ja auch durchaus darauf hinzuweisen, dass es da Verbindungen gibt zwischen solchen Bewegungen wie eben diese braune Bio-/Esoterikszene und dem Rechtsterrorismus, weil sie den Boden bereiten. Weil sie die Menschen darauf bringen, sich damit zu beschäftigen und damit kommen sie über ihr Interesse an biologischer Landwirtschaft an rechtes Gedankengut und dann kann daraus eine Festigung oder eine Radikalisierung entstehen. Das hat sich ja auch bei den Attentätern gezeigt, da passiert eine Radikalisierung im Vorfeld und die basiert meistens zunächst einmal auf einem diffusen Geschehen. 

Der Rechtsterrorismus ist in der Bundesrepublik lange Zeit überhaupt nicht wahrgenommen worden, der Blick der Behörden war im Wesentlichen immer nach links gerichtet. Der Feind war links, zuerst die Kommunisten, auch die in der DDR, dann die RAF – der Rechtsterrorismus war quasi nicht im Blickfeld, was man auch an den Berichten des Verfassungsschutzes sieht. Aufgrund der Tatsachen hat sich das inzwischen verändert. 

Heute steht rechter Terror im Vordergrund, aber das Problem ist, dass das nicht dauerhaft ist. Das sind einzelnen Ereignisse, über die berichtet werden muss und dann ist auch eine große Empörung da und dann gibt es die Sonntagsreden, aber die Frage wäre, was daraus folgt. Wenn man z. B. den NSU nimmt, da gibt es die Forderung auch von Journalist•innen, dass die Aufarbeitung eigentlich weiter gehen und das Umfeld ganz genau ausgeleuchtet werden müsste.

Dass die Gefahr des Rechtsterrorismus größer geworden ist, zeigt z. B. auch die Zunahme an Reichsbürgern, die in Bayern früher nie Thema des Verfassungsschutzes oder der Behörden waren. Erst seit dem Mord an einem Polizisten 2016. Seitdem sind die Reichsbürger im Fokus und man weiß, es gibt etwa 4000 in Bayern. Mindestens 10% von ihnen haben einen Waffenschein und sind bewaffnet. Ich muss sagen, das ist ein Potential, das ist unglaublich.

Mich beunruhigen Waffenfunde in diesen Kreisen schon sehr, es gibt aber in der Bundesrepublik Tendenzen, das in höherem Maße zu tolerieren. Wir haben sicher keine Verhältnisse wie in den USA, aber die AfD hat sich deutlich für eine Erweiterung des Waffenrechts ausgesprochen und da gibt es in Jagdverbänden usw schon auch Fürsprecher.

Was ist das Ziel solcher Attentate, das Ziel des Rechtsterrorismus? 

Neben dem direkten Terror gegen unerwünschte Minderheiten ist ein Ziel vor allem, den Staat vorzuführen. Das war ja auch das Ziel des Oktoberfest Attentäters 1980. Ein Attentat, das wahllos gegen Menschen gerichtet ist, nicht gegen Ausländer oder eine andere bestimmte Gruppierung, einfach gegen alle Menschen. Um zu zeigen, dieser Staat, diese Demokratie, hat das nicht unter Kontrolle, kann so etwas nicht verhindern. Und die Reaktion auf solche Attentate ist ja oft eine Annäherung nach rechts. Verschärfte Kontrollen, verschärfte Sicherheitsmaßnahmen, mehr Polizei. Letztlich hat sich das auch immer gegen Demonstrationen gerichtet, vor allem wenn sie von Links kamen und das ist natürlich auch ein Zweck, den der Rechtsterrorismus verfolgt. 

Ist es nicht schade, dass ein Land, das den Faschismus auf so schockierende Weise erleben musste wie Deutschland, nicht aufgeklärter ist, sondern wieder auf die gleichen Muster hereinfällt? 

Das Lernen aus der Geschichte ist ja bekanntermaßen nur wenig ausgeprägt. 

Außerdem muss man aufpassen wenn man sagt, warum gerade in Deutschland. Natürlich gibt es das Problem in anderen Ländern genauso, der Neofaschismus ist in anderen Ländern mindestens genauso präsent, obwohl sie nicht in diesem Maße einen eigenen Faschismus hatten. Aber es gab überall in anderen europäischen Ländern in den 20er und 30er Jahren faschistische Bewegungen und der Umgang mit der Thematik ist heute ähnlich. Es zeigt sich da eigentlich eher, wo wenig Auseinandersetzung damit stattgefunden hat, ist die Gefahr zum Teil größer, als bei uns. Wir sind nicht an der Spitze, was Neofaschismus anbelangt. 

Andererseits haben wir in der Bundesrepublik seit 2014 mit der AfD eine große, starke Partei, die in Ansätzen schon immer rechts war und sich inzwischen noch stärker in diese Richtung entwickelt hat. Der Erfolg dieser Partei ist schon ein Phänomen, in dem sich zeigt, wie viel sich da angesammelt hat an Enttäuschungen und Bedürfnissen. Untersuchungen seit den 70er Jahren haben gezeigt, dass in der Bundesrepublik das Potential für extrem rechtes Denken zwischen 13 und 17% liegt. Dieses Potential kann die AfD jetzt abschöpfen.

Es gibt kritische Stimmen, die einer umfassenden Aufarbeitung skeptisch gegenüber stehen, weil man befürchtet, so könne es leichter Nachahmer geben, man würde so Menschen quasi eine Vorlage zur Verfügung stellen, wie man ein faschistisches Regime aufzieht. Wie sehen Sie das? 

Das wurde durchaus erforscht und man kann auf jeden Fall so viel sagen, zu viel Aufklärung erzeugt keinen gegenteiligen Effekt. Es ist schon so, dass Aufklärung und Auseinandersetzung eher hilft, etwas zu erkennen. Untersuchungen haben gezeigt, dass je mehr Menschen sich damit beschäftigen, desto größer ist die Chance, dass sie nicht so leicht manipulierbar sind und nicht den Rechten auf den Leim gehen. 

Ich habe es auch als Lehrer immer versucht, Zeitzeug•innen einzuladen in die Schule und habe dann bei späteren Kontakten schon festgestellt, dass da immer etwas hängen geblieben ist, dass sich viele erinnern. Und das ist natürlich die Hoffnung, dass so etwas bleibt, ein Moment, ein Gedanke, Bilder im Kopf, die dann weiter wirken. Diese Hoffnung wird sicherlich nicht immer erfüllt, aber ich denke es ist schon eine Möglichkeit, über Aufklärung  weiter zu kommen. 

Die neuen Rechten werben ja auch ganz groß mit ihrem Antikapitalismus, etwas, dass man bisher ja eigentlich eher dem linken Spektrum zugeordnet hat. Wenn man aber genau hinschaut stellt man fest, dass ein großer Teil des Geldes, das Parteien und Organisationen zur Verfügung steht, von sehr reichen Kapitalisten stammt. Kann man also auch hier wieder von Propaganda sprechen, die die Menschen erreichen soll, die sich Sorgen um ihre Existenz machen, denen Sozialpolitik wichtig wäre? 

Ja und nein. Auch hier ist das Feld etwas breiter. Der Antikapitalismus ist zunächst ein Phänomen, das auch in der Nazi-Bewegung eine große Rolle gespielt hat. Bereits Ende des 19 Jahrhunderts gab es die Äußerung von dem Kolonialoffizier Carl Peters der sagt, man bräuchte einen deutschen Sozialismus im Gegensatz zum internationalen. Es ging schon damals um nationalen Sozialismus. Da gibt es durchaus eine Linie.

Sie sagen also die Arbeiterklasse ist der Teil der Gesellschaft, der urwüchsiger, sauberer und kerniger ist, als die gekünstelte, bürgerliche Welt. Daraus entsteht ein Druck, diese Arbeiterschaft nicht den Internationalisten, nicht den Linken überlassen zu dürfen. Das zieht sich durch bis zur Gründung der NSDAP. Im ersten Parteiprogramm der NSDAP sind auch eine Reihe sozialistischer Forderungen enthalten. Und bereits diese Forderungen sind zum Teil Ausdruck dieser Vorstellung aus dem 19 Jahrhundert von einem deutschen Sozialismus.

Zugleich sind sie auch schon in der Gründungszeit Ausdruck von Demagogie. Nach 1919 waren sozialistische Forderungen sehr populär, da gab es eine starke sozialistische Bewegung und der wollte man das Wasser abgraben. Deshalb hat man sozialistische Forderungen übernommen. Das ist demagogisch gewesen, weil im Kern der Führungsgruppe damals der Fokus auf dem Kleinbürgertum und der Mittelschicht lag und die hatten mit Sozialismus nichts zu tun. 

Wie ist die NSDAP mit in ihrer Entwicklung mit diesen sozialistischen Forderungen umgegangen? 

Hitler hat zum Beispiel 1925 gesagt, dass diese Sozialisierung von Grund und Boden, die im Parteiprogramm erwähnt wird, nicht allgemein gelte sondern nur für jüdischen Großgrundbesitz. Das ist eine Erklärung die er zum Parteiprogramm macht und da hat er quasi sozialistische Forderungen zurückgenommen. Er nimmt sie nicht ganz raus, weil Enteignung und Grundstücksverteilung usw waren populär, aber er reduziert es antisemitisch auf jüdischen Großgrundbesitz.

Im Laufe der Zeit wurde dann die Annäherung an die Industrie stärker und umgekehrt hatte auch die Industrie immer mehr Interesse an der Nazi-Bewegung was dazu führte, dass diese angeblich „sozialistischen“ Ideen völlig verdrängt wurden, die spielten seit Ende der 20er Jahre keine Rolle mehr. Ab da war die Orientierung klar: Privatkapital ist entscheidend. Hitler hatte es ja auch in „Mein Kampf“ ziemlich breit ausgeführt, indem er sagte, in der Gesellschaft stehen die Menschen mit schwacher Persönlichkeit unter den Menschen mit starker Persönlichkeit.

Es gilt das Führerprinzip, die Massen sind die Gefolgschaft. Und dieses Prinzip der Persönlichkeit in der Gesellschaft gibt es laut Hitler genauso in der Wirtschaft. Auch dort muss die Einzelperson führend sein, das heißt freies Unternehmertum. Damals ist es also demagogisch genutzt worden.

Heute ist es ein Geflecht, es gibt immer wieder antikapitalistische Forderungen, aber nachdem was man weiß, ist das im Wesentlichen demagogisch gemeint. Es ist eine Anbiederung, weil man weiß dass es populär ist. Man biedert sich durchaus auch linken Bewegungen an, da gibt es eine Übernahme von Elementen aus der Arbeiterbewegung. Oft gibt es dann die Unterscheidung zwischen gefährlichem, also internationalem oder gar jüdischem und gutem Kapital, das in den Händen von Bio-Deutschen ist. 

Eine der letzten Tafeln der Ausstellung sagt „Danke Antifa!“. Welche Erfolge gibt es denn tatsächlich zu verzeichnen? 

Ich denke man müsste unter dem Begriff „Antifa“ viel mehr Menschen subsumieren. Es gibt ja zum Beispiel in Gewerkschaften, in Jugendgruppen, in den Parteien, Organisationen für Geflüchtete usw. – es gibt so viele Bereiche in unserer Gesellschaft, die antifaschistisch sind und die antifaschistisch arbeiten. Deswegen hätte ich die vielleicht sogar zuerst genannt und nicht in erster Linie die, die oft als traditionelle Antifa bezeichnet werden. 

Bei der Frage was man erreicht hat, komme ich nochmal auf die Barriere zurück. Ich denke, dass es bei uns doch eine große Hürde gibt, offen faschistisch aufzutreten, offen entsprechende Parolen zu bringen, ohne dass es beispielsweise von der Presse aufgegriffen wird. Wir haben doch in der Presse, in der Öffentlichkeit eine relativ große Aufmerksamkeit. Früher wurden solche Sachen noch abgetan als Phantasien von Linken, als aufgebauscht, aber das ist anders geworden. Gerade auch in den großen Medien spielen diese Dinge heute eine Rolle und das ist nicht von ungefähr gekommen. Dahinter steckt, dass überall in der Bundesrepublik Menschen aufstehen und was sagen. 

Wie wichtig wäre es auch angesichts dieser Erfolge, aber auch mit Blick auf die aktuelle Entwicklung, die Gemeinnützigkeit des VVN-BdA wieder anzuerkennen? 

Auf Bundesebene haben wir sie ja wieder erhalten, hier in Bayern läuft jetzt der Antrag nachdem wir nun im Verfassungsschutzbericht nicht mehr erwähnt werden. Natürlich ist die wieder Zuerkennung der Gemeinnützigkeit ein wichtiger Punkt auf verschiedenen Ebenen. Einmal ist es eine Form von Anerkennung für die Mitglieder, in erster Linie für noch lebender Verfolgte selbst, aber auch für uns Nachgeborene. Wenn man bedenkt, seit ich Mitte der 70er Jahre Mitglied in der VVN-BdA bin, bin ich quasi als verfassungsfeindlich eingestuft worden.

Irgendwann macht es einem zwar nichts mehr aus, aber es ist eine Entwürdigung dessen, was man seit fast 50 Jahren macht. Ebenso wichtig ist es für die öffentliche Resonanz. Wichtig ist es auch, um z. B. öffentliche Räume für Veranstaltungen ohne Hindernisse nutzen zu können. Insgesamt ist es eine stärkere Anerkennung des Antifaschismus, indem man sagt Antifaschismus ist nicht etwas Abseitiges, etwas Linkes, sondern Antifaschismus ist eigentlich die Grundlage der Demokratie. Unsere Verfassung, unser Grundgesetz sind klare Absagen an den Faschismus.

Zum Schluss möchte ich mit Ihnen noch über ein Plakat der Ausstellung sprechen, nämlich über die Abbildung „Das braune Haus“ (siehe Gallerie). Was können Sie mir dazu sagen? 

Es ist der Versuch, die gesamte Problematik bildhaft darzustellen. Es gibt also verschiedene Bereiche im braunen Haus: Wir haben die Bürgerlichen, die auch an der Vernetzung arbeiten, wir haben aber auch die wirklich stramm Rechten, die auch den Hitlergruß zumindest intern nicht scheuen. Man sieht hier die Wehrsportabteilung, die den Rechtsterrorismus unterstützen, Uniter beispielsweise. Außerdem erkennt man den intellektuellen Bereich, also z. B. Verlage, Journalist•innen usw. Im Dachgeschoss sieht man die Bombenbastler mit der Reichskriegsflagge. Die Musikszene ist auch sichtbar, die ja auch als Einnahmequelle dient. 

Vor dem Haus läuft gerade eine Nazidemo, mit den aktuellen Losungen wie zum Beispiel „Europa der Vöker“ in denen eben dieser vorhin beschriebene, neu verpackte Rassismus steckt. Auf der anderen Seite sieht man die Gegendemonstranten, die Antifa und die Polizei trennt die Demonstranten. Die Polizei hat hier keine leichte Aufgabe, die tun mir schon oft leid, weil das natürlich politische Entscheidungen sind, die dort umgesetzt werden müssen. Wir von der VVN-BdA sind der Meinung, dass dieser öffentliche Protest wichtig ist und dass man den auch nicht irgendwo hin abdrängen sollte, wo er nicht mehr so gut sichtbar ist. Wir vertreten aber auch die Meinung, dass man schon im Vorfeld härter durchgreifen könnte, mit dem Argument, es gefährdet die öffentliche Sicherheit und Ordnung wenn Nazis aufmarschieren. 

Das Bild zeigt also insgesamt das, worauf die Ausstellung aufmerksam machen will, nämlich die Verbundenheit und die Vernetzung all dieser einzelnen Bereiche. Und oben auf dem Dach sitzt der Pleitegeier. 

Am Ende dieser Ausstellung darf also die Hoffnung bleiben, dass der Pleitegeier eines Tages zuschlägt und den rechten, (neo)faschistischen Netzwerken ihre Existenz erschwert. 

In Traunstein ist die Ausstellung noch bis 02. Juli 2022 im Kulturzentrum Klosterkirche zu sehen. Auf der Seite des VVN-BdA können außerdem alle Plakate online eingesehen werden. 

ist Chefredakteurin bei Alerta und seit ihrer Jugend politisch aktiv. Ihre inhaltlichen Schwerpunkte reichen von der deutschen Vergangenheit bis hin zu politisch progressiven Themen der Gegenwart – sowohl in der Literatur als auch in der Praxis. Die gebürtige Münchnerin liest, schreibt und lebt derzeit im Chiemgau.

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