Auf Maria Sánchez „Land der Frauen“ bin ich nur mehr oder weniger zufällig aufmerksam geworden – im Alerta-Gespräch mit Andreas Jünger über grüne Politik/Bewegungen in Spanien erwähnt der Historiker M. Sánchez Buch in Zusammenhang mit der oftmals leider offensichtlichen Kluft zwischen Stadt(-leben) und Land(-leben).
Genau über diese Kluft, hauptsächlich aber über die ungehörten, ungesehenen Frauen auf dem Land, berichtet Sánchez in ihrem berührenden Essay.
Eine Stimme für die, die keine Stimme haben
Die Autorin stellt die empfindliche Frage nach der Rolle der Frauen in der Geschichte der ländlichen Regionen Spaniens. Wo bleiben diese Frauen, die ihr Leben lang harte Arbeit im Ackerbau und der Viehzucht geleistet haben, als wäre es ein einfaches Hobby neben dem Haushalt und dem Aufziehen der Kinder in einer Geschichte, die ausschließlich von Männern erzählt wird? María Sánchez will die Geschichten genau dieser Frauen endlich ans Licht holen, in einer von Männern geprägten Welt, in der weibliche Vorbilder einfach verdrängt wurden.
Es war der denkwürdige 08. März 2018, an dem für die Autorin deutlich sichtbar wurde, dass der Feminismus in ländlichen Regionen noch nicht so richtig angekommen ist – auch deshalb, weil sich die Frauen auf dem Land zu wenig vertreten sehen in den Anliegen der städtischen Feministinnen. Auch ist es auf dem Dorf gar nicht so leicht, die Stimme zu erheben und einzustehen für sich selbst – was sollen bloß die Leute denken, wenn man demonstrieren ginge, statt in den Stall und hinter den Herd?
Die Frauen auf dem Land sind Arbeiterinnen in einem Betrieb, der ihnen nicht gehört, sie arbeiten wie selbstverständlich ohne Lohn für ihre Männer, die alles besitzen. So entstehen landwirtschaftliche Produkte, essentielle Lebensmittel, durch die aufopfernde Arbeit ihrer Hände und dennoch bleiben sie für die Verbraucher•innen unsichtbar, werden sie aus dem Weltbild verdrängt.
Die ländliche Geschichte wird so gut wie immer von Außen erzählt, meistens von Städtern, die in den Medien vom Land berichten. Mit idyllischen Landschaftsaufnahmen, sauber hergerichteten Häusern, gestellten Bildern und eingeübten Gesprächen mit dem Besitzer des Hofes – mit Männern also. Diese überhebliche Art der Berichterstattung blendet die Landfrauen nicht nur beinahe vollständig aus und entzieht ihnen deren Stimme, sie idealisiert auch das Landleben während es dieses gleichzeitig unterdrückt.
Die Schreiberin plädiert für einen ländlichen Feminismus, der alle mit einbezieht, der für alle da ist, der beispielsweise auch die Migrantinnen, die praktisch ohne Rechte auf den Feldern arbeiten, nicht zurück lässt. Sie plädiert auch dafür, eine Verbindung zu schaffen zwischen den städtischen Feministinnen und den Frauen auf dem Land. Und für eine Verbindung mit den weiblichen Vorfahren, um diesen eine Stimme zu geben, um ihre Geschichten zu erzählen. Geschichten, ohne die Spanien heute nicht das Land wäre, das es ist.
Inspiration für eine ganze Generation
Die Autorin selbst ist in Córdoba geboren, ihre Großeltern lebten jedoch auf dem Land. Maria Sánchez hat in der Stadt Veterinärmedizin studiert, ist Tierärztin auf dem Land und Schriftstellerin in der Stadt. Wer also könnte besser eine literarische Brücke zwischen diesen beiden Welten schlagen?
In diesem Essay wird einmal mehr deutlich, wie wenig Beachtung Frauen in ländlichen Regionen erfuhren und auch heute noch immer erfahren. Sie sind quasi unsichtbar, oftmals leider auch unbezahlte Arbeitskräfte ihrer Männer. Obwohl M. Sánchez ausschließlich über „ihr Dorf“ in Spanien berichtet, ist es keineswegs nur ein spanisches Phänomen, über das sie hier schreibt.
Schon alleine das Verschwinden hinter den Floskeln „Frau von … / Tochter von … „ kommt sicher auch vielen Frauen in den ländlichen Regionen Deutschlands nicht allzu unbekannt vor. Und auch hierzulande treffen Probleme wie fehlende Infrastruktur, Abwanderung und die Folgen des Klimawandels die ländlichen Regionen und die dort lebenden Menschen härter, als die Städte und ihre Bewohner•innen.
Kurzum: Auch wenn es um die Geschichte der Alten geht, hat María Sánchez mit „Land der Frauen“ ein wertvolles Werk für eine ganze Generation junger Frauen geschaffen, das sie ermutigen soll, auf die Suche zu gehen. Auf die Suche nach unseren Wurzeln, unseren weiblichen Vorfahren. Woher sind sie gekommen und wohin wollen wir gehen?
Auch die deutschen Frauen dieser Jahrzehnte, also unsere Großmütter und Urgroßmütter, sind weitestgehend ausgeblendet worden. Einzig der Mythos der Trümmerfrauen hat sich wohl in jedermanns Gedächtnis gebrannt. Ihnen jedoch mit der von der Autorin geforderten Neugier zu begegnen, Fragen zu stellen, Antworten zu suchen, ist leichter gesagt, als getan. Der Schatten der Grauen des 2. Weltkrieges hängt nach wie vor über diesen Zeiten, über die als großes Tabuthema in vielen Familien noch immer nicht gesprochen wird, nicht gesprochen werden darf. Umso inspirierender ist dieses Buch mit seinen Wahrheiten auch für uns.
Für Interessierte:
Eine junge Generation Landfrauen hat es sich inzwischen zur Aufgabe gemacht, sich selbst eine eigene Stimme zu geben, so berichten beispielsweise die Ramaderas de Catalunya auf Twitter über ihren Alltag und schreiben damit ihre eigene Geschichte.