Vergleichsweise unpassend

Ministerpräsidentin Manuela Schwesig hat sich in einer SPD-Fraktionssitzung mit Willy Brandt verglichen. Seine Ostpolitik ist jedoch im 21. Jahrhundert nicht mehr möglich.
Für seine Ostpolitik wurde Willy Brandt vor allem international gefeiert. In der BRD wurde er zur Hassfigur der politischen Rechten.
Foto: Stadtarchiv Kiel/ CC BY-SA 3.0 DE

Die Geister, die sie rief, machen ihr nun Probleme: Manuela Schwesig (SPD) steht im Kreuzfeuer der Kritik, da sie jahrelang eine glühende Verfechterin der Gaspipeline Nordstream 2 war, die russisches Gas nach Deutschland pumpen soll. Im September 2021 wurde das über 7 Milliarden teure Projekt fertiggestellt, ging jedoch nie in Betrieb. Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine wurde Nordstream 2 vollständig abgeschrieben.

Zwar räumte die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern im März Fehler ein, verteidigte jedoch ihre jahrelange Unterstützung für Nordstream 2 – auch mit Verweis auf Unionspolitiker•innen, wie etwa Bundeskanzlerin Angela Merkel, die ebenfalls für das Projekt geworben hatten. Sicherlich hat Schwesig in einem Punkt recht – sie war nicht allein verantwortlich für das Abwickeln von Nordstream 2.

Es geht jedoch nicht nur um Nordstream 2: Schwesig ließ die “Stiftung Klima- und Umweltschutz MV” gründen, die unter anderem auch aus Russland finanziert wird, um Nordstream 2 zu fördern. Nun will Schwesig die Stiftung auflösen, es gelingt ihr jedoch nicht, da ihr Förderer und Amtsvorgänger Erwin Sellering (SPD) seinen Posten als Stiftungschef nicht räumen will.

Auch wird der “Verein Deutsch-Russische Partnerschaft in Mecklenburg-Vorpommern” laut Recherchen des NDR mit 350 000 Euro in diesem Jahr von der Landesregierung unterstützt, obwohl Schwesig vor Kurzem die Auflösung des Vereins forderte. Kurzum: Schwesig wirkt äußerst unglaubwürdig.

Angesichts der lauter werdenden Kritik verglich sich die Ministerpräsidentin in einer SPD-Fraktionssitzung mit Willy Brandt, dem Vorzeigesozialdemokraten. Schließlich habe dieser für seine Ostpolitik starken Gegenwind erfahren und durchgehalten. Der Spott ließ nicht lange auf sich warten.

Ostpolitik

Tatsächlich ist der Vergleich befremdlich, weil er das Wesen der sozialliberalen Ostpolitik nicht wirklich erfasst. Das hat auch mit der damaligen historischen Situation zu tun, die sich nicht beliebig reproduzieren lässt. Daran scheitert Schwesigs Vergleich.

Die Kritik, die der Bundesregierung und insbesondere Willy Brandt entgegenkam, war geprägt von “dumpfsinnige[m] deutsch-nationalen Beharren” (Rudolf Augstein). Um den Frieden in Europa langfristig zu sichern, verzichtete die deutsche Bundesregierung auf die ehemaligen deutschen Ostgebiete, die damals auch als “fremdverwaltete deutsche Ostgebiete” bezeichnet wurden.

Warschau war mit dem schmerzlichen Eingeständnis verbunden, dass die Hoffnung auf Rückkehr in die Heimat für viele Menschen (…) Illusion geworden war”, resümierte Egon Bahr (SPD) später die Unterzeichnung der Warschauer Verträge im Dezember 1970.

Im Vertrag wurde die Oder/Neiße Linie als Grenze zwischen deutschem und polnischem Staatsgebiet festgelegt. Schlesien, Pommern und Ostpreußen wurden somit aufgegeben – ein Umstand, der insbesondere bei Vertriebenenverbände für Unmut sorgte.

Für Verstimmung sorgte auch Brandts vielbeachtete Geste, als er vor dem Ehrenmal der Toten des Warschauer Ghettos auf die Knie fiel. 48 Prozent der Deutschen, so eine damalige Spiegel-Umfrage, empfanden die Geste als “übertrieben.” 

Denn auch das gehörte zur Ostpolitik: Aussöhnung mit den Staaten, denen das Deutsche Reich brutales Unrecht angetan hat. Ausgerechnet Brandt übernahm diese Aufgabe. “Dann kniet er, der das nicht nötig hat, da für alle, die es nötig haben, aber nicht da knien”, schreibt der Spiegel.

Vertrauensfrage

Um die Ostpolitik, insbesondere in der innerdeutschen Frage, erfolgreich umsetzen zu können, war ein guter Draht zu Moskau und Washington unerlässlich. Ohne das Vertrauen beider Weltmächte wäre die “Wandel durch Annäherung” Politik gescheitert. Die deutsche Außenpolitik fand ihre eigene selbstbewusste Stimme.

Die politische Rechte warf der Bundesregierung und Brandt “Vaterlandsverrat” vor, jedoch handelte die Regierung durchaus patriotisch motiviert. Die Wiedervereinigung der deutschen Staaten war, wie im Grundgesetz vorgesehen, erklärtes Ziel. Diese ließe sich jedoch nur erreichen, wenn man friedlich aufeinander zuginge. Damit sollten die Vertreter•innen der Ostpolitik recht behalten.

Wo passt hier Manuela Schwesig ins Bild? Kaum. Sie hat sich Schuhe angezogen, die sie nicht einmal schnüren kann. Außer der geografischen Lage Russlands gibt es kaum Überschneidungen, weil die aktuelle Situation eine gänzlich andere ist. Der Eiserne Vorhang ist gefallen, viele Staaten des Warschauer Pakts sind auf eigenem Wunsch mittlerweile in der NATO  und die globale Ordnung hat sich maßgeblich verändert.

Die Motive für eine engere Kooperation mit Russland mögen in der Vergangenheit edel gewesen sein, in der Hoffnung auf eine erweiterte europäische Friedensordnung. Deutschland hat sich dafür sogar in eine Abhängigkeit treiben lassen, für die man nun die Quittung erhält. Dennoch sei davor gewarnt, den Lauf der Geschichte in sich aufzusaugen und davon berauscht zu urteilen. Im Nachhinein sind die meisten immer schlauer.

Die Ostpolitik der sozialliberalen Koalition war gekennzeichnet von Gewaltverzicht, Aufgabe von historischen Gebietsansprüchen und ein Aufeinanderzugehen im gegenseitigen Vertrauen – trotz großen innenpolitischen Widerständen.

Die Außenpolitik Putins hat sich in seiner langjährigen Amtszeit zu einer Umkehrung dessen entwickelt: Historische Gebietsansprüche werden gestellt und versucht, mit brutaler Gewalt umzusetzen. Übertrieben lange Tische im Kreml sorgen für Distanz und verhindern ein Aufeinanderzugehen. Durch den russischen Angriffskrieg in der Ukraine ist auch jegliches Vertrauen erloschen.

Schwesig muss, ob der wirtschaftlichen Interessen zu Russland, glaubwürdige Konsequenzen ziehen. Diese Art der Ostpolitik des 21. Jahrhunderts ist nämlich gescheitert. Brandt ist zurückgetreten, als bekannt wurde, dass ein DDR-Spion in seinem engsten Umfeld platziert wurde. Ob die Ministerpräsidentin auch daran dachte, als sie sich mit ihm verglich?



ist Chefredakteur und Gründer von Alerta. Sein Interesse gilt insbesondere der linken und antifaschistischen Geschichte und Kultur. Er lebt und schreibt in Saragossa/Spanien.

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