Neue Plattform für Anarchokommunismus

Seit Jahresbeginn gibt es eine neue anarchokommunistische Plattform im deutschsprachigen Raum. Welche Ziele sie verfolgt und wie man selbst aktiv werden kann, hat sie Alerta in einem Gespräch mitgeteilt.

Wer sich für Anarchismus interessiert oder selbst in anarchistischen Strukturen aktiv werden will, kann sich seit dem 01. Januar 2022 auf einer neuen Plattform ausführlich informieren. Unter www.anarchokommunismus.de gibt es nun eine Übersicht über die wichtigsten Grundsätze der zentralen Strömungen mit umfangreichen Links. 

Neben einer Liste mit den aktiven anarchokommunistischen Strukturen im deutschsprachigen Raum werden in einem Blog auch verschiedene Themen aus anarchokommunistischer Perspektive besprochen. Texte können von Gruppen der Bewegung eingereicht werden. Außerdem wird anarchokommunismus.de auf den sozialen Netzwerken aktiv sein und Interessierte können sich auf dem Discord Server austauschen, über aktuelle Texte diskutieren oder das Projekt mitgestalten.

Dies ist allerdings erst der Anfang. “Wir planen das Projekt Stück für Stück auszubauen und haben viele weitere Ideen für die Zukunft”, sagt Marian im Gespräch mit Alerta. Der Anspruch sei jedoch stets, alle Punkte auf professionelle Weise und in einem ansprechenden modernen Design umzusetzen. 

Was versteht man unter dem „Anarchokommunismus“?

Der Anarchokommunismus ist historisch gesehen die Weiterentwicklung von Mutualismus nach Proudhon, Kollektivismus nach Bakunin und dann Kommunismus nach Kropotkin. Der Anarchokommunismus ist also eine anarchistische Strömung die sich aus dem Anarchismus heraus entwickelt hat. Zur Hochzeit unserer Bewegung war es noch ganz üblich, dass Anarchist*innen den Kommunismus als Ziel benannt haben.

In der heutigen anarchistischen Bewegung, die sich nur noch teilweise in einer sozialistischen Tradition sieht, mutet das für einige seltsam an. Letztentlich ist es aber ganz normal und selbstverständlich. Mit anarchismus.de, anarchokommunismus.de und anarchafeminismus.de wollen wir einen klaren Beitrag dafür leisten, dass der Anarchismus wieder seiner zentralen Bedeutung als antiautoritärer Flügel des Sozialismus gerecht wird. 

Der Anarchokommunismus bietet eine stark ausformulierte Gesellschaftsvorstellung, eine klare Analyse der bestehenden Verhältnisse (die sich vom Marxismus nicht grundlegend unterscheidet) und einen Weg zur Erreichung einer anderen Gesellschaft: den Klassenkampf.

Wir sind der Überzeugung, dass es ohne Anarchismus keinen Kommunismus geben kann. Der autoritäre Sozialismus egal welcher Spielart, ist auf ganzer Linie darin gescheitert die klassenlose Gesellschaft zu erreichen. Nur die föderalistischen, auf Massenkämpfe ausgerichteten Ansätze eines klassenkämpferischen Anarchismus, welcher die Beteiligung an einer institutionellen Herrschaft aufs Entschiedenste verneint, können uns den Weg zur Befreiung aufzeigen.

Rund um den anarchistischen Kommunismus gibt es Strömungen, Ansätze und Spielarten unserer Weltanschauung, welche wir auch auf unserer Webseite repräsentieren: den anarchistischen Feminismus, Plattformismus, Anarchosyndikalismus und Especifismo.

"Anarchie ist Sozialismus und Freiheit in einem. Freiheit ohne Sozialismus besteht aus Privilegien und Sozialismus ohne Freiheit bedeutet Gewalt und Unterdrückung."

Welche Themen spielen dabei eine besondere Rolle?

Uns ist wichtig festzustellen, dass die Freiheit aller Menschen die Bedingung für die eigene Freiheit ist. Die Auflösung der Klassengesellschaft, die soziale Revolution und mit ihr die Zerschlagung des kapitalistischen Systems, des Patriarchats und aller Unterdrückungsverhältnisse ist die Bedingung für die Freiheit und eine gerechte Gesellschaftsordnung.

Dabei sind uns alle Themen wichtig, die auch schon im Jetzt dazu beitragen das Leid der Menschen in den kapitalistischen Verhältnissen zu verringen und Verbesserungen für die lohnabhängige Klasse zu erkämpfen.

Als anarchistische Kommunist*innen ist für uns auch die Eigentumsfrage eine zentrale. Jeder Cent den wir durch Arbeitskämpfe im Hier und Jetzt der herrschenden Klasse abtrotzen, ist einer mehr der unsere Bedingungen verbessert. Unser oberstes Ziel ist und bleibt die Enteigung der herrschenden Klasse. Die Umverteilung der Reichtümer, die wir selbst erzeugen nach dem Prinzip: „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jeder nach seinen Bedürfnissen.“
Dabei stehen wir natürlich auch ein für alle Kämpfe, die sich nicht nur um die Verbesserung der Arbeitsbedingungen drehen, wie z.B. Kämpfe gegen das Patriarchat, gegen Rassismus, den Klimawandel usw. Wir sind immer dort wo es darum geht die Rechte der Menschen zu verteidigen und auszubauen. In diese Kämpfe versuchen wir eine materialistische Analyse und Sichtweise auf die Zusammenhänge der Welt zu liefern.

Gibt es historische Beispiele für den Anarchokommunismus?

Ja. Das bekannteste ist sicherlich die spanische Revolution von 1936-1939, welche unter schwierigen Bürgerkriegsbedingungen große Errungenschaften hervorbrachte, wie: Steigerung der Produktion, Kollektivierung der Betriebe und Ländereien (vor allem in Katalonien), massiver Ausbau des Bildungswesens, Schaffung von Frauenrechten usw. 

Hier muss gesagt werden, dass von den Revolutionär*innen damals zwar in den befreiten Gebieten der anarchistische Kommunismus ausgerufen wurde, dieser aber nicht konsequent überall gleich umgesetzt war. Es gab von Ort zu Ort sehr unterschiedliche Regelungen und Ansätze. Dies entspricht auch dem anarchistischen Transformationskonzept, dass nicht direkt alle Teile der Gesellschaft nach der Revolution nach anarchokommunistischen Prinzipien „gleichgeschaltet“ werden. 

Auch Kropotkin hat dies so beschrieben, dass es im Übergang zur kommenden Gesellschaft am Anfang sicherlich noch sehr unterschiedliche Formen und Modelle geben wird, die sich dann aber nach und nach dem anarchistischen Kommunismus klar zuwenden, weil es einfach das effizienteste (Wirtschafts)Modell ist. Um das an einem Beispiel zu veranschaulichen: Der anarchistische Kommunismus sieht die Verteilung aller Mittel des täglichen Bedarfs und anderer (Luxus)Güter über Verteilstellen vor, wo alle sich was sie brauchen, ohne den Einsatz eines Tauschmittels, abholen können. 

Während der spanischen Revolution wurde diese Frage aber sehr unterschiedlich geregelt. In einigen Orten gab es noch Geld, in anderen Tauschbons und in einigen besagte Verteilstellen ohne Tauschlogik.

Auch über die spanische Revolution hinaus gab es Gesellschaftsversuche die federführend von anarchistischen Kommunist*innen angeführt wurden wie in der Ukraine unter den Machnowschtschina, welche allerdings noch schwierigere Bedingungen hatten als in Spanien.

Oder an denen anarchistische Kommunist*innen mitgewirkt haben, bzw. wo die Gesellschaftsversuche in einigen Punkten sich in Richtung eines anarchistischen Kommunismus entwickelten, wie in Portugal bei der Nelkenrevolution oder der Mexikanischen Revolution. Stichwort: Tierra y Libertad (Land und Freiheit).

Gibt es auch anarchokommunistische Beispiele aus Deutschland vor dem Nationalsozialismus?

Nicht wirklich. Es gab ja eine Reihe von eher lokal begrenzten Revolutionsversuchen in Deutschland, wie der Märzrevolution im Ruhrgebiet oder die Münchener Räterepublik. In all diesen Revolutionsversuchen spielten anarchistische Kommunist*innen eine wichtige Rolle, bei der Münchener Räterepublik sogar eine herausragende Rolle.

Diese revolutionäre Aufbruchsstimmung nach dem ersten Weltkrieg wurde dann aber leider schnell unterdrückt und konnten sich nicht übers ganze Land ausweiten. Außerdem waren natürlich viele verschiedene sozialistische Kräfte an diesen beteiligt (wie ja in allen Revolutionsversuchen seit der Industrialisierung). Was aus diesen jungen Pflänzchen gewachsen wäre, können wir heutzutage nur spekulieren.

Wie ist der Anarchokommunismus in Deutschland heute organisiert?

Der Zustand der anarchokommunistischen Bewegung in Deutschland hat sich in den letzten Jahren deutlich verbessert, ist aber gesellschaftlich gesehen natürlich immer noch marginal. Klassenkampf ist wieder eine zentrale Losung des organisierten Anarchismus in Deutschland geworden. 

Die Freie Arbeiter*innen Union (FAU) ragt da natürlich hervor: Die FAU ist eine anarchosyndikalistische Gewerkschaft (der Anarchosyndikalismus hat den anarchistischen Kommunismus als Ziel), mit mitlerweile über 1700 Mitgliedern. Dies macht sie nicht nur zu einer der größten linksradikalen Organisationen in Deutschland im allgemeinen, die FAU hat es auch geschafft eine reale Gewerkschaft zu werden, die in der ganzen Republik meist kleine aber auch ein paar größere Arbeitskämpfe führt. Jede Woche gibt es inzwischen Erfolgsmeldungen von Lohneintreibungen oder ähnlichem. 

Die FAU verfügt mittlerweile über 8 Gewerkschaftslokale, jedes Jahr kommen neue Standorte hinzu. Speziell in prekären Arbeitsfeldern kann die FAU durch direkte Aktionen und ihre Flexibilität punkten. So gab und gibt es große Kämpfe bei Lieferando, Dominos, Gorillas, Walther König und mit Erntehelfer*innen. Bei Letzteren konnten bei einem großen Kampf in Bornheim bei Bonn über 200.000 Euro an austehenden Löhnen erkämpft und vieles mehr erreicht werden.

Auch in der Schweiz gibt es währenddessen wieder eine sehr aktive eigenständige FAU mit angeschlossener Jugendgruppe. In Österreich entwickeln sich seit Kurzem auch wieder anarchosyndikalistische Jugendgruppen (ASJ) mit bislang drei Niederlassungen in unterschiedlichen Städten.

Über den Anarchosyndikalismus hinaus gibt es eine wachsende Anzahl von Gruppen und Medienprojekten, die sich dem anarchistischen Kommunismus und ihm verwanden Strömungen anschließen. Das liegt zum einen an „der plattform – anarchakommunistische Föderation“, welche aktuell fünf Lokalgruppen hat und sich dem Plattformismus/Especifismo zuordnet. Auch in Berlin gibt es, mit der „Perspektive Selbstverwaltung“ und der „Libertären Aktion Bern“, neue Gruppen die sich dem Plattformismus / Especifismo zugehörig fühlen.

Es gibt außerdem noch eine Reihe weiterer Gruppen z.B. aus der „Föderation deutschsprachiger Anarchist*innen“ (als strömungsübergreifende Organisation) oder gänzlich unabhängige von einer der drei Föderationen die sich dem anarchistischen Kommunismus verbunden fühlen.

2021 hat auch eine Entwicklung von anarchokommunistischen Medienprojekten gesehen. Das ist auf der einen Seite der vergleichsweise Erfolgreiche Podcast „Übertage“ aus dem Ruhrgebiet – den ich selbst mit betreibe. Aber auch der „zamdoa“ Podcast aus Bayern, „Anarchie & Cello“ Podcast aus Österreich, das „BonBon Stimmung“ Videoprojekt, „Aktion und Alltag“ Videoprojekt aus Koblenz und der „AnarchWie?“ Podcast aus der Schweiz. Hier wächst also, zusammen mit der nun gestarteten Website, eine richtige Medienoffensive heran, die eine große Stärkung des anarchistischen Kommunismus zeitigen wird.

Darüber hinaus gibt es noch eine Menge spannender, eher älterer Projekte. Z.B. in der Verlagslandschaft mit „Syndikat-A“, „Edition AV“, „Unrast Verlag“, „Edition Assemblage“ usw.

Wir haben auf unserer Website eine umfangreiche Liste (bald auch mit Karte) des deutschsprachigen Raums zusammengeführt, wo ihr einen tollen Gesamtüberblick bekommt was es alles so gibt.

Wie kann man am besten selbst aktiv werden?

Auf der einen Seite kann man sich einfach in der eigenen Stadt einer der bereits vorhandenen Organisationsangebote anschließen. Wenn es aber nichts in deiner Stadt gibt oder du dich aus welchen Gründen auch immer davon nicht angesprochen fühlst, bau doch einfach eine eigene Struktur auf!

Such dir Unterstützung bei einer der drei Föderationen (FdA, FAU, die plattform) und starte durch. Organisierter Anarchismus, das ist etwas was wir alle machen können, wo wir alle unseren Teil dazu beitragen können. Natürlich kannst du dich auch an uns als Websiten Kollektiv wenden, wir vermitteln dich gerne und helfen wo wir können.

Es ist eine zentrale Aufgabe für uns die revolutionäre Bewegung aufzubauen und darin den organisierten Anarchismus zu stärken. Die nächsten Jahrzehnte werden die gesamte Menschheit vor große Herausforderungen stellen. Nur wenn wir uns zusammen entschlossen organisieren, können wir diese meistern. Nur dann wird der Anarchismus eine zentrale Rolle in der Befreiung der Menschheit führen. 

Bleib nicht alleine! Schließ dich uns an, ohne dich sind wir zu wenige!

anarchokommunismus.de, anarchismus.de und anarchafeminismus.de sind die drei Domains über die die neue anarchistische Plattform erreichbar ist.

ist Chefredakteur und Gründer von Alerta. Sein Interesse gilt insbesondere der linken und antifaschistischen Geschichte und Kultur. Er lebt und schreibt in Saragossa/Spanien.

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