Februar 1933 – der Winter, in dem die Nazis die Literatur einfroren

Nach der „Machtergreifung“ der NSDAP im Januar 1933 veränderte sich Deutschland Schlag auf Schlag. Sie verfolgten nicht nur Politiker•innen, sondern auch Kulturschaffende. Uwe Wittstock erzählt ihre Geschichte.

Dieses Buch hatte ich mir eigentlich gleich nach Erscheinen zugelegt und kam dann nicht dazu, es zu lesen. Vielleicht weil ich es unbedingt in einem Februar lesen wollte, denn dieses Buch passt einfach nicht in den Sommer. Nun, da der Februar 1933 genau 90 Jahre zurückliegt, war der richtige Zeitpunkt gekommen, dieses Werk endlich zur Hand zu nehmen.

Geschichte als Geschichte

Nach einem kurzen Vorspann findet man sich auf dem Berliner Presseball wieder, auf dem sich eine Reihe Schriftsteller•innen, Publizist•innen und Autor•innen wie Remarque, Klaus Mann, Carl Zuckmayer, die Familie Wedekind und andere tummeln. Für den ein oder anderen ist diese Veranstaltung ein Abschied, denn bereits jetzt ziehen manche es angesichts der drohenden politischen Veränderungen vor, das Land vorsichtshalber zu verlassen.

Gleich darauf folgt eine Schilderung der relevanten politischen und historischen Fakten und Einzelheiten, die in den Tagen vor Hitlers „Machtergreifung“ eine Rolle spielen. Im weiteren Verlauf des Buches wechseln die Kapitel inhaltlich zwischen den politischen Ereignissen und den Ereignissen in der Kunstszene.

Am Ende jedes Kapitels, die nach Tagesdatum geordnet den Zeitraum vom 28. Januar bis zum 15. März durchlaufen, findet sich eine Auflistung der neuen Übergriffe der Nazis mit Todes und Verletztenzahlen, die Gegenschläge der radikalen Linken und die Grippezahlen, die zu diesen Zeiten wohl so relevant waren, wie heute die Zahlen der Corona-Infizierten.

Schnell zeigt sich, wer sich gegen Hitler stellen oder fliehen wird und wer sich – sei es nun aus Überzeugung oder aus reinem Opportunismus – von den Nazis einwickeln lässt und von dieser Verbindung profitieren wird. Käthe Kollwitz ist eine der ersten Mitglieder, die aus der Akademie der Künste ausgeschlossen wird, weil sie sich gegen die Nationalsozialisten ausspricht. Tragisch, denn sie war 1919 als erste Frau überhaupt in die Akademie aufgenommen worden.

Während Theateraufführungen mehr und mehr zensiert werden, nehmen Goebbels Inszenierungen langsam Fahrt auf. Was Hitler in seinen populistischen Reden sät, fällt bei immer mehr Menschen auf fruchtbaren Boden und dass die Grippezahlen deutlich sinken, ist bei den rasant steigenden Zahlen der Opfer von Übergriffen durch die Nazis wohl die einzige gute Nachricht dieser Tage.

Inzwischen holt die Einsicht der Aussichtslosigkeit auch viele derer ein, die zunächst noch geblieben waren und so setzen einige ihre vorsichtshalber durchdachten Fluchtpläne in die Tat um, andere fliehen Hals über Kopf und auf Umwegen, um den Nazis – und damit ihrerr Verhaftung – sicher zu entgehen.

Schließlich kommt es zu Massenverhaftungen, noch mehr Künstler•innen, Schriftsteller•innen und auch Journalist•innen fliehen, manche schaffen es nicht und landen in den ersten (wilden) Konzentrationslagern. Dann erfolgt die endgültige Übernahme der politischen Macht und mit ihr die Übernahme der Kunstszene. Die Nazis verbieten alles, was ihnen nicht entgegenkommt, setzen neues Personal ein, wo sie es für nötig halten, übernehmen die Planung der Programme und beginnen damit, Bücher zu verbrennen. Stück für Stück übernehmen sie auch den Polizeiapparat und die Verwaltungen einzelner Kommunen und das alles innerhalb nur weniger Tage.

Nach und nach sind natürlich auch die Medien, also zur damaligen Zeit Redaktionen und Radiosender, dran, denn sie sind für die Verbreitung ihrer Propaganda von größter Bedeutung. Als schließlich das Ministerium für Volksaufklärung und Propaganda eigens für Goebbels gegründet wird, schafft dieser „ein System fast lückenloser politischer Zensur“. 

Die Erzählungen enden mit dem 15. März 1933, an dem es eine Razzia in der Berliner Künstlerkolonie gibt, bei der zahlreiche Menschen festgenommen werden. Viele von ihnen landen in sogenannten „wilden Gefängnissen“, die wegen des Überschusses an Gefangenen zu dieser Zeit in Kasernen entstehen und wo neben unmenschlichen Haftbedingungen Misshandlung und Folter an der Tagesordnung sind. Der Leiter der politischen Polizei im preußischen Innenministerium bemerkte nach der Auflösung solcher Haftlager: „Die Schutzpolizisten hat der Anblick dieser Hölle stumm gemacht.“ – unwissend, dass dies erst ein Vorgeschmack auf die in der folgenden Dekade stattfindenden Gräueltaten der Nationalsozialisten unter Adolf Hitler ist.

Im letzten Abschnitt erfahren die Leser•innen, wie es mit 33 der Schriftsteller•innen und Autor•innen weiterging, wohin sie ihr Lebensweg führte. Ob die Gebliebenen überlebten, ob die Geflohenen je wieder nach Deutschland zurückkehrten oder wie die, die dem NS-Regime gedient haben, ihr Leben auch nach dem Krieg in der Mitte der Gesellschaft fortführen und sogar weiterhin publizieren konnten.

Frostige Stimmung, flammender Appell

Ein sehr gut und feinfühlig recherchiertes Werk, das den Leser•innen besonders die für Literatur, Kunst und Presse einschneidenden Ereignisse des Februars 1933 auf kurzweilige Weise nahe bringt. Der wirklich angenehme, unaufgeregte Schreibstil lässt einen nicht los und man kann das Buch trotz des aufwühlenden Themas entspannt lesen. Obwohl Emotionen nur oberflächlich und knapp angeschnitten werden, fühlt man als Leser•in die ganze Zeit über mit den Protagonist•innen. Meistens ist es ein beklemmendes Gefühl, Sorgen und Angst stehen im Vordergrund. Lediglich die leise Hoffnung, die manche der Menschen damals noch hatten, empfindet man als Leser•in mit dem Wissen, was in den folgenden Jahren passiert ist, nicht.

Außerdem liefert das Buch neben tollen Ansatzpunkte für weitere Recherchen – sei es zu geschichtlichen Details, zu erwähnten literarischen Werken oder zu den beteiligten Personen – auch einen Einblick in die Verbindungen, die all die bekannten Künstler•innen, Schriftsteller•innen sowohl auf persönlicher als auch auf beruflicher Ebene miteinander gehabt haben.

Als Schülerin kam ich, wie wahrscheinlich alle meiner Generation, häufig mit Werken der Schriftsteller von damals in Berührung. „Der Hauptmann von Köpenick“ von Carl Zuckmayer als Schullektüre, Erich Kästners fliegendes Klassenzimmer als Film oder „Frülingserwachen“ von Frank Wedekind, dessen Nachkommen von den Nazis verfolgt wurden, als Aufführung mit der Theatergruppe. Natürlich wurde bei diesen Gelegenheiten immer auch ein kurzer Blick auf die Biographie der Schriftsteller geworfen und darin war auch immer angemerkt „wurde im Nationalsozialismus verfolgt“, „floh vor den Nationalsozialisten aus Deutschland“ oder dergleichen. Aber genauer wurde darüber nie gesprochen, diese kleinen Nebensätze mussten genügen.

Nachdem ich dieses Buch nun gelesen habe, finde ich das umso unverständlicher, gibt es doch, wie auch der Autor Uwe Wittstock erwähnt, gerade über diese Bevölkerungsgruppe unvergleichlich viele Aufzeichnungen sowohl über ihr politisches Schaffen, als auch über ihr Privatleben. Eine Quelle an Zeitzeugenberichten, aus der man viel öfter schöpfen sollte, denn letztlich findet man hier nicht „nur“ einen Einblick in die Folgen von Hitlers Machtergreifung für die Kunst-, Meinungs- und Pressefreiheit, sondern man sieht, wie eine Demokratie innerhalb weniger Tage und Wochen in eine grausame Diktatur umgebaut werden kann.

Vor allem diejenigen, die heutzutage auf der Straße stehen und sich mit Schildern, auf denen ihre Meinungen stehen, über eine angebliche „Meinungsdiktatur“ beschweren, sollten diesen historischen Roman zur Hand nehmen und aufmerksam lesen. Oder auch diejenigen, die von Zensur sprechen, während die Bücher ihrer Idole einfach im Online-Buchhandel zu bestellen sind und jede•r in sozialen Netzwerken und in Blogs so gut wie alles ohne Konsequenzen veröffentlichen kann. In diesem Buch erfährt man, was Einschränkungen in der Meinungsfreiheit und in der Kunst wirklich bedeuten und welche lebensverändernden Entscheidungen Menschen damals treffen mussten, um nicht aufgrund ihrer Meinung oder ihres Schaffens Gefängnisstrafen oder Schlimmeres erleiden zu müssen.

Deutschland schmückt sich gerne mit dem Titel „Land der Dichter und Denker“, sollte dabei aber nicht vergessen, dass es in seinem dunkelsten Kapitel drauf und dran war, genau diese auszulöschen. Verstehen wir dieses Werk auch als Warnung und als Appell an uns alle, für unsere freiheitlichen demokratischen Werte ein- und aufzustehen, wann immer es nötig ist.

Cover des Buches "Februar 1933. Winter der Literatur"

Februar 33. Der Winter der Literatur

Uwe Wittstock

C. H. Beck Verlag, 288 Seiten

24,00 Euro

ist Chefredakteurin bei Alerta und seit ihrer Jugend politisch aktiv. Ihre inhaltlichen Schwerpunkte reichen von der deutschen Vergangenheit bis hin zu politisch progressiven Themen der Gegenwart – sowohl in der Literatur als auch in der Praxis. Die gebürtige Münchnerin liest, schreibt und lebt derzeit im Chiemgau.

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