Kriegsbericht zwischen Journalismus und Schriftstellerei

In „Mein Katalonien“ erzählt George Orwell von seiner Zeit im Spanischen Bürgerkrieg. Seine Beobachtungen sind unterhaltsam und warnend zugleich.

Vorweg muss ich wohl gestehen, mich bisher weder bis ins Detail mit den Geschehnissen des spanischen Bürgerkriegs befasst noch zuvor eines der bekannten Werke von George Orwell gelesen zu haben.

Letzteres lag wohl hauptsächlich daran, dass seine Dystopien nicht erst seit der Pandemie oftmals zur Untermauerung hanebüchener Verschwörungstheorien verwendet wurden und so der Inhalt ohnehin bekannt ist – was mir persönlich tatsächlich das Interesse daran genommen hat. „Mein Katalonien“ betrifft das jedoch bei Weitem nicht auf diese Art und Weise wie andere seiner Titel und so bietet dieses Buch einen hervorragenden Einstieg sowohl in Orwells Werke, als auch in die historische Thematik des spanischen Bürgerkrieges.

Mit geballter Faust!

Gleich zu Beginn reißt einen das Buch mitten ins Geschehen – ein Einstieg in eine beinahe links-romantisch anmutende Szenerie in Barcelona, welche sich jedoch bald als zu viel herausstellen wird:  Wohlhabende verkleiden sich als Arbeiter•innen. Die Stadt ist heruntergekommen. Lebensmittel sind knapp.

Alle Bürger•innen scheinen gleich – vor allem gleich voller Hoffnung auf die Revolution; auf eine neue Zukunft, in welcher sie sich nicht mehr als stoisches Rädchen durch den eintönigen kapitalistischen Alltag drehen würden müssen. Die lebendigen Ausführungen des – zumindest laut George Orwells Schilderungen – fernab jeglicher Organisation und Ordnung beginnenden Bürgerkrieges lesen sich in den folgenden Abschnitten schon fast wie eine linke Komödie, sodass man den Leser•innen das ein oder andere Schmunzeln wirklich kaum verdenken kann.

Der chronologisch erzählte Ablauf eines Krieges könnte schnell langweilig werden – aber nicht mit Orwells fesselndem Schreibstil! Er liefert wirklich von Anfang bis Ende Spannung, Abwechslung und lebhaften, persönlichen Einblick in das Geschehen. Großartige literarische Unterhaltung, die ich hinter einem Kriegsbericht tatsächlich nicht erwartet hatte. Bei so viel Begeisterung mag es leicht passieren, dass man als Leser•in mit einem romantischen, beinahe träumerischen Eindruck zurück bleibt.

Ein Eindruck, aus dem man bald wieder erwachen wird, denn am Ende lässt sich auch dieser Krieg nicht verherrlichen. Ein Krieg, welcher nicht zuletzt auch Menschenleben fordert, ist nie zu verherrlichen.  Auch, wenn sich aus den Anekdoten durchaus wundervolle Ideologien spinnen ließen, war dies sicherlich keineswegs George Orwells Intension hinter diesen Aufzeichnungen.

Er war ein leidenschaftlicher Schreiber, bei dem es im Eifer des Gefechts aus Sicht der Leser•innen vielleicht so scheinen mag, als sollten emotionale Meinungen und Standpunkte transportiert werden, jedoch passiert dies tatsächlich durch die jeweils individuelle Einordnung seiner prägnanten Ausdrucksweise durch die Leser•innen selbst – zumal die Stimmung ohnehin bald unweigerlich ins Gegenteil umschlägt.

Gewissenhaft auf Wahrheitssuche

Im letzten Drittel lässt der Autor die Ereignisse noch einmal Revue passieren und gelangt im Nachhinein zu teilweise völlig neuen Sichtweisen. Schnell wird klar, dass es für Außenstehende wie so oft unmöglich bleiben wird, sich ein realistisches, der Wahrheit nahes Bild zu machen.

Orwell gibt sich größte Mühe, seine Aufzeichnungen reflektiert zu ordnen und scheut sich auch nicht, zunächst passierte Fehleinschätzungen zu korrigieren. Sind seine persönlichen Erfahrungen natürlich auch auf sein räumlich nahes Umfeld begrenzt, versucht er dennoch, sich und seinen Leser•innen einen Überblick über das Gesamtbild zu verschaffen. Besonders zur Widerlegung der propagandistische Presse dieser Zeit trägt er seinen Teil in Form von Wissen und Belegen bei. Bereits von Anfang an bietet der Bericht detaillierte Aufstellungen der beteiligten Parteien und Milizen, die differenzierte Aufklärung der einzelnen linken Positionen setzt sich im Schlussteil fort.

Außerdem finden sich im gesamten Buch Notizen in Form von Fußnoten, die erst nach George Orwells Tod gefunden wurden und seine fortlaufende Verarbeitung des Erlebten widerspiegeln. Auch hier hält er sich nicht zurück, ursprünglich falsche Einordnungen durch neue Erkenntnisse zu korrigieren.

Ein Bruchteil der Geschichte

Besonders in den Kapiteln, in welchen der Autor seine Erlebnisse als Mitglied einer Miliz während der Endphase des Bürgerkriegs rückblickend niederschrieb, nachdem er Spanien längst verlassen hatte, betont dieser immer wieder, wie wichtig ihm eine reflektierte Einordnung seiner Berichte ist. In seinen letzten Wochen in Katalonien, in denen sich der Ausgang der Unruhen und der tatsächliche Einfluss von Außen auf die Konflikte innerhalb Spaniens immer deutlicher abzeichneten, wird der Ton seiner Formulierungen stetig resignierter und zugleich auch warnender.

Es ist eine Warnung vor eben der Gefahr, in solchen Zeiten den Überblick, ja zum Teil sogar den moralischen Kompass zu verlieren. Gilt der spanische Bürgerkrieg auch heute noch für viele als Inbegriff des antifaschistischen Widerstands in Europa, ergibt sich bei näherer Betrachtung das für das linke politische Lager leider fast schon typische Bild der Zersplitterung, die am Scheitern des Einsatzes für die eigentlich gemeinsame Sache selten ganz unschuldig ist.

Zudem findet man in diesem Abschnitt des Werkes nochmal eine geballte, aber keinesfalls vollständige Ladung an detaillierten Informationen und Hintergründen zu historisch relevanten Ereignissen, die während des spanischen Bürgerkrieges passierten. Historisch interessierte Leser•innen werden dort Unmengen spannende Rechercheansätze finden, die zum ausführlichen Nachschlagen einladen. Muss man George Orwells Berichte aus logischen Gesichtspunkten also als einzelnen, sehr kleinen Ausschnitt des Geschehenen betrachten, sollte man sich zur geschichtlichen Kontextualisierung neben einem differenzierten Blick auf die inländischen Konflikte unbedingt auch dem Einfluss aus dem Ausland die nötige Beachtung schenken.

Definitiv ein Lesevergnügen, welches neugierig auf einen tieferen Blick ins historische Thema macht.

Cover des Buches "Mein Katalonien" von George Orwell

Mein Katalonien

George Orwell

Diogenes Verlag, 288 Seiten

13,00 Euro

ist Chefredakteurin bei Alerta und seit ihrer Jugend politisch aktiv. Ihre inhaltlichen Schwerpunkte reichen von der deutschen Vergangenheit bis hin zu politisch progressiven Themen der Gegenwart – sowohl in der Literatur als auch in der Praxis. Die gebürtige Münchnerin liest, schreibt und lebt derzeit im Chiemgau.

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