Schluss mit alten Märchen – der Beginn einer neuen linken Erzählung

Die politische Linke braucht neue Perspektiven und eine neue Erzählung – davon ist Julia Fritzsche überzeugt. In ihrem Buch „Tiefrot und radikal bunt: Für eine neue linke Erzählung“ zeigt sie auf, wie dies aussehen könnte.

Die sich zuspitzenden politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen der letzten Jahre machen sich vor allem die Rechten zu Nutze, obwohl es linke Themen sind, die sie sich da mit viel Getöse aneignen. Es geht um die Klimakrise, Lebens- und Wohnraum für alle, Diversität, Care-Berufe, soziale Gerechtigkeit und Migration.

Die Rechten bieten in ihrer Rückwärtsgewandtheit für diese essenziellen Themenbereiche genauso wenig echte und nachhaltige Lösungen, wie die neoliberale Erzählung, die schlicht und einfach zu Ende erzählt ist.

Und was passiert derweil im politisch linken Lager? Hier verstrickt man sich mehr und mehr in Details, über die man sich letztlich zerstreitet, ehe etwas überhaupt entsteht. Dabei entsteht vor allem außerhalb der parteipolitischen Landschaft bereits eine ganze Menge. 

Abseits all dieser scheinbaren Negativität existiert sie vielerorts bereits – eine tiefrote und radikal bunte Welt, in der sich Menschen finden, formieren und organisieren um gemeinsam für eine bessere Zukunft zu sorgen. Und dennoch fehlt etwas Entscheidendes: Eine neue linke Erzählung, die den Menschen bildhaft vermittelt, wohin die Reise gehen soll.

Julia Fritzsche wagt mit ihrem Buch den längst überfälligen Schritt, von dieser Welt zu berichten und verwebt damit die ersten Fäden eines neuen linken Narratives, an denen hoffentlich noch viele anknüpfen werden.

Perspektivenwechsel

Klären wir zunächst, was das eigentlich bedeutet, dieses „tiefrot und radikal bunt“?

Tiefrot steht zusammengefasst für eine Politik und Gesellschaft, die sich an den Bedürfnissen der Menschen orientiert und nicht an deren (kapitalistischer) Verwertbarkeit. Für eine soziale, solidarische Gesellschaft. Radikal bunt beschreibt die Diversität innerhalb dieser Gesellschaft bis hin zur Diversität in Bedürfnissen, Handlungsweisen und -möglichkeiten ganzer Regionen und Länder.

Nicht zuletzt enthält es auch einen gewaltigen Anteil saftiges grün – denn ohne eine radikal ökologische Politik und Wirtschaft wird ohnehin kein System mehr lange Bestand haben. Der Planet bildet die Grundlage für alles, die Notwendigkeit gravierender Einschnitte ist hier nicht mehr wegzudiskutieren.

Julia Fritzsche gelingt es in ihrem Buch durch aufwendige Recherchearbeit Initiativen und Projekte auf kommunaler und regionaler Ebene aus der ganzen Welt zusammenzutragen, zu analysieren und ihre Schnittmengen zu finden. Sie schildert anhand konkreter Beispiele, wie eine praktische Umsetzung der politischen Forderungen in den unterschiedlichen Bereichen aussehen könnte.

Dabei geht es nicht darum, die einzelnen Projekte eins zu eins zu übernehmen, sondern sich dazu inspirieren und ermutigen zu lassen, auf der Suche nach Wegen für die praktische Umsetzung im eigenen Umfeld noch nie Dagewesenes zu denken wo das bisher Bekannte keine Lösungen mehr enthält. In ihren Ausführungen manifestieren sich wundervolle Ansätze, wie eine bessere Welt für alle eben doch hauptsächlich durch Handeln entsteht und bei Weitem nicht nur durch politische Wahlen und Entscheidungen.

Wie also geht es weiter?

Julia Fritzsche macht ihren Leser•innen mit ihrem selbstbewussten Sprachstil Mut, davon zu erzählen, wo es eine bessere Welt schon gibt und wie diese aussieht. „Die neue Unordnung braucht Spannung zwischen konkretem Handeln und einem umfassenden theoretischen Horizont.“ schreibt sie und trifft damit den Nagel auf den Kopf.

Ich glaube, jede•r von uns hat mindestens ein solches Beispiel im näheren Umfeld, in dem sich links-grün politisches Denken im konkreten Handeln widerspiegelt – sei es der Gemeindegarten, die Nachbarschaftshilfe, das Mehrgenerationen-Projekt, landwirtschaftliche Kollektive usw usw… Ein großer Teil von uns ist sogar ehrenamtlich in genau solchen Initiativen tätig. Von hier aus müssen wir den Bogen spannen in die Politik, in die Formulierung unserer Forderungen und in ein neues, linkes Narrativ, das wir den Menschen erzählen können.

Einen winzig kleinen Kritikpunkt muss ich leider doch erwähnen – ich persönlich finde es schade, dass der Bereich Bildung ausgelassen wurde, da dieser meines Erachtens nach eine ganz entscheidende Rolle spielt. Global betrachtet ist das allerdings ein ebenso komplexes wie umfangreiches Thema, über das es eine Vielzahl guter Bücher gibt.

Ein Buch, das alle anderen essenziellen Bereiche so simpel und präzise abdeckt, verknüpft und vermittelt, wie das von Julia Fritzsche wird man jedoch nur schwer finden. Man mag von einigen Projekten, vielen der ursächlichen Hintergründe und den meisten der Problematiken schon gehört und manches sogar umfassend beleuchtet haben, aber J. Fritzsches ganzheitliche Zusammenführung lässt einen dankbar werden, dass das endlich mal jemand gemacht und aufgeschrieben hat.

Am Ende ist klar: Wir werden eine neue linke Erzählung vielleicht nicht von heute auf morgen in vollem Umfang zu Ende formulieren können, aber diese zu beginnen und zu gestalten ist der einzige Ausweg aus der politisch so festgefahrenen Situation. Wenn wir also wollen, dass sich eine bessere Welt für alle etabliert, müssen wir neben dem alltäglichen Handeln vor allem eins – wir müssen davon erzählen.

Ein Werk, das Klarheit schafft und einen vorwärts denken lässt.

Persönliche Leseempfehlung!

Cover des Buches "Tiefrot und radikal bunt" von Julia Fritzsche

Tiefrot und radikal bunt: Für eine neue linke Erzählung

Julia Fritzsche

Edition Nautilus, 192 Seiten

16,99 Euro

ist Chefredakteurin bei Alerta und seit ihrer Jugend politisch aktiv. Ihre inhaltlichen Schwerpunkte reichen von der deutschen Vergangenheit bis hin zu politisch progressiven Themen der Gegenwart – sowohl in der Literatur als auch in der Praxis. Die gebürtige Münchnerin liest, schreibt und lebt derzeit im Chiemgau.

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