Hexen – Manifestation eines Feindbildes

Die Jagd auf Hexen war mehr als der Kampf gegen Okkultismus. Viel mehr ging es darum, Frauen und ihre Identität zu bekämpfen und in einen engen Käfig zu zwängen. Die Auswirkungen sind bis heute zu spüren.

In alten Schauermärchen, geliebten Disney-Filmen und selbst in modernen Cartoons begegnen sie uns seit Kindertagen als angsteinflößende, gruselige Erscheinungen, die selten Gutes im Schilde führen. Zwar gibt es den ein oder anderen Hollywood Film, in dem die Rolle einer Hexe vermeintlich positiv besetzt wurde und in manchen Kinderbüchern findet man inzwischen sogar Hexen, die großartige Vorbilder für kleine Mädchen abgeben, dennoch aber bleibt das Wort „Hexe“ nicht nur, aber auch als Beleidigung geeignet.

Diese negative Prägung kommt nicht von ungefähr: Lange Zeit jagte man sie, beschuldigte sie willkürlich schrecklicher Taten, um sich ihrer auf dem Scheiterhaufen zu entledigen, wo sie in den Flammen einen grausamen Tod starben.

Ebenso den Beginn als auch das Epizentrum der Verfolgungen finden wir – es überrascht einen kaum – in Deutschland und der Schweiz. Doch auch in den USA und im Rest Europas fand die grausame Hexenjagd und die Vernichtung der Erbeuteten über Jahrhunderte hinweg statt.

Mona Chollet stellt sich die Frage nach dem geistigen Erbe dieser Massenverbrechen. Die Autorin geht neben den historischen Ausführungen auch auf eine Vielzahl unterschiedlicher, internationaler Autor•innen ein, analysiert die Entwicklung von damals bis heute und führt dabei Dinge zusammen, die zumindest den Teil der Leserschaft, der sich mit dieser Thematik noch nicht oder kaum befasst hat, für einen Moment schockieren dürften. Denn die Hexenverfolgungen sind nichts anderes, als die systematische Vernichtung von Frauen, die andernorts selbst heute noch geschieht. 

Verlorene weibliche Identität

Tatsächlich kann man sagen, die Hexenverfolgung hat die Arbeitsteilung für den Kapitalismus vorbereitet und hält uns Frauen bis heute in dieser aufgezwungenen Rolle.

Blickt man auf frühere feministische Kämpfe in den USA, sieht man zum Beispiel schnell, dass die Optionen für Frauen meistens hieß: Sozialhilfe vs. Ehe. Also immer in der Abhängigkeit.

Alte „wissenschaftliche“ Einschätzungen der Frau brachten auf, dass sie möglicherweise gar nicht selbstzufrieden und unabhängig sein kann, gar nicht geeignet sei für ein Leben ohne männliche Dominanz, weil ihr Verstand und ihr Körper außer Kontrolle geraten würden.

Und obendrein kommt noch die subtile, mediale Beeinflussung dazu, die – von damals bis heute – Unbehagen für alleinlebende Frauen kreiert. Der Teufel scheint für die Verfolger in der Unabhängigkeit zu stecken, was kaum verwunderlich ist, bedeutete doch jede unabhängige Frau unweigerlich Machtverlust für einen Mann. Die Tatsache, dass wir hier über eine Macht sprechen, die ein Mann erst gar nicht hätte haben dürfen, wird zu gerne außer Acht gelassen.

Einen großen Bereich nimmt die Frage nach der im Patriarchat entstandenen, fiktiven „Pflicht“ zu gebären ein. Die Rolle der Mutter, welche in ihrer Aufgabe aufgeht, ist festgeschrieben in unseren Strukturen und unserer Kultur. Erfolge auf beruflicher Ebene sind mehr zusätzliche Errungenschaften, aber keineswegs Ersatz oder gar die bevorzugte Option.

Eingriffe in den Reproduktionsvorgang wie Verhütung oder Abtreibung finden zwar ausnahmslos an bzw im weiblichen Körper statt, werden aber dennoch größtenteils von Männern kontrolliert und durchgeführt – an kaum einer anderen Stelle kann die Macht über die Natur und die Frau so direkt ausgeübt werden, wie in der Geburtenmedizin.

Ein weiterer großer „Makel“, den eine Frau außer Kinderlosigkeit, Intelligenz und Unabhängigkeit im Patriarchat noch haben kann, ist ihr Alter. Wird ohnehin schon genug die weibliche Biologie Betreffendes von vielen Männern als „ekelig“ empfunden, so erreicht dieser „Ekel“ (machen wir uns nichts vor: Es ist anerzogener Frauenhass.) bei älteren Frauen nochmal eine andere Dimension während das Alter bei Männern eher als attraktiv empfunden wird.

So bleibt den Frauen häufig nur, sich den Unsicherheiten, die ihnen eingeredet wurden, hinzugeben, sich Schönheitsoperationen zu unterziehen, mindestens aber einen großen Teil ihres Geldes in Produkte der Make-up-Industrie zu investieren. Denn die optische Erscheinung ist ihr Kapital, wenn auch unfreiwillig. Hier zitiert M. Chollet die Philosophin Mary Daly, die sagte: „Denn die Schönheit starker, kreativer Frauen ist ‚hässlich‘ nach den frauenfeindlichen Maßstäben von Schönheit.“ Zwangsläufig büßen Frauen auf diesem Weg einen großen Teil ihrer Authentizität, ihres Selbstbildes und ihrer Identität ein.

Ergänzend erzog auch die Literatur Frauen immer wieder dazu, sich selbst zurück zu nehmen, in der Partnerschaft nicht zu viel zu fordern, die eigenen Bedürfnisse zu ignorieren. Sich klein machen, unsichtbar machen, bloß nicht auffallen, sich den Konventionen unterwerfen und im Stillen leiden  – das sind die Lektionen, die Frauen aus den Hexenverbrennungen zwangsläufig ziehen mussten, um ihr Leben zu schützen.

Die pseudowissenschaftliche Einordnung des weiblichen Verstandes und die damit einhergende Anerkennung bestimmter Fähigkeiten verunsichert Frauen noch heute in vielen Bereichen. Warum sollte man überhaupt versuchen, auf einem Gebiet erfolgreich zu sein, auf dem man angeblich schon aus biologischer Sicht zum Scheitern verurteilt ist?

Auf genau diesen Aspekt geht Mona Chollet im letzten Kapitel noch intensiv ein – das Fehlen von Frauen in den Naturwissenschaften, im speziellen in der Medizin und die furchtbaren Auswirkungen dieses Defizits in der Forschung auch auf Frauen als Patientinnen.

Zeigt euch, ihr Hexen!

Wie damals die Hexen, macht man heute den Feminismus ebenso willkürlich für alles Mögliche verantwortlich – Geburtenrückgang, Niedergang der Wäscheindustrie, Verachtung der Mutterschaft. Dabei ist es gar nicht unser aller unumstößliche Pflicht, all das aufrecht zu erhalten. Ein System aufrecht zu erhalten, das uns ausschließt. Immer mehr Frauen wagen den Schritt heraus aus den Konventionen, sorgen für sich selbst, suchen ihre Erfüllung fernab von Familienplanung und Haushaltsführung.

Und trotz dass auch wir Frauen heute vielfältigere Optionen haben, als in den vergangenen Jahrhunderten, sind wir noch längst nicht frei. Noch immer bergen diese Wahlmöglichkeiten große Risiken finanzieller und gesellschaftlicher Natur und diese einzugehen scheint oftmals vollkommen waghalsig, auch wenn man uns heutzutage nicht mehr auf einen brennenden Scheiterhaufen wirft.

Chollets Analyse zeigt aber auch, dass die Hexenverfolgungen nicht nur aus bloßem Antifeminismus stattfanden. Besonders schockierend sind die Parallelen zum Antisemitismus, die auch der „Hexenhammer“ („Malleus maleficarum“) im Vergleich mit Hitlers „Mein Kampf“ aufzeigt. Hier lohnt es sich, ein wenig weiter zu recherchieren um sich selbst ein Bild zu machen.

Ebenfalls beklemmend finde ich persönlich eine offensichtliche Parallele zum Faschismus, welche sich später auch im Nationalsozialismus wiederfand  – der ausgeprägte Anti-Intellektualismus. Die Frauen, die verbrannt wurden, waren keine okkulten Figuren, die sich mit dem Übersinnlichen verbunden sahen, sie waren intelligente, empathische und hochbegabte Frauen, die über umfassendes Wissen auf naturwissenschaftlichen Gebieten verfügten. Sie waren Hebammen, Heilerinnen, Beraterinnen und oftmals waren sie kompetenter, als die behandelnden (männlichen) Ärzte.

Am Ende geht es um Vermarktung und Profit

Leider befindet sich genau hier der Punkt, an dem der heutige Hexenkult in eine aus meiner Sicht ungute Richtung kippt. In der Hoffnung, ihren Ahninnen und deren Wissen wieder näher zu kommen, fallen reihenweise junge Frauen Esoterik, Schamanismus und Homöopathie zum Opfer. „Zum Opfer“ deshalb, weil ihnen vorgegaukelt wird, wirkungslose aber teurere Dinge wären viel heilsamer als alles, was die Naturwissenschaften hervorgebracht haben.

So geben jährlich unzählige junge Frauen Unsummen ihres neben Haushalt und Familie hart verdienten Geldes für Produkte patriarchaler Unternehmen aus, bei deren Anblick jede Hexe ihren Besen gefressen hätte und mit denen sich die Frauen selbst mit den Ideologien ihrer einstigen Verfolger einlassen.

Die Autorin hat vollkommen recht mit ihrem Blickwinkel auf Frauen als Patientinnen, allerdings bedeutet das keineswegs, dass die Grundlagen der Wissenschaft nicht gelten und nicht korrekt sind, obgleich es zweifellos eine erweiterte Forschung in Bezug auf weibliche Medizin und Pharmakologie ebenso dringend braucht, wie ein diesbezüglich neues Bewusstsein in der Ärzteschaft.

Was wäre, wenn?

Im Buch erfährt man auch, dass die Tiere der Hexen häufig mit verbrannt wurden, insbesondere ihre Katzen. Dieser Massenmord an Katzen ließ eine größere Verbreitung der Ratten zu und verschlimmerte damit das Auftreten von Pestepidemien.

Wenn nun schon das Verschwinden der Haustiere in so großer Zahl solch gravierende Auswirkungen hatte, welche tiefgreifenden Folgen hatte dann wohl die Auslöschung all dieser wunderbaren Frauen auf unsere Gesellschaft?

Das Ausmaß lässt sich nur vage erahnen und dabei geht es nicht nur um den Verlust der einzelnen, jede für sich einzigartigen und wertvollen Frauen, sondern auch um die Angst, die Generationen von Frauen seither fesselt und lähmt.

M. Chollets Werk ist absolut lesenswert. Die durchdachten Überleitungen zwischen den Kapiteln lassen für die Leser•innen ein schlüssiges Gesamtbild entstehen über ein Thema, das viel zu wenig Beachtung findet obwohl es auch unser aller gegenwärtiges Leben beeinflusst hat.

Persönliche Leseempfehlung!

Wer sich einmal von einem anderen, positiven Hexenbild, verzaubern lassen will, dem möchte ich Terry Pratchetts feministisches, vierteiliges Märchen über den Lebensweg der jungen Hexe Tiffany Weh ans Herz legen, aus dessen zweitem Teil „Ein Hut voller Sterne“ folgendes Zitat stammt: „Die alten Hexen brachten den jungen nicht bei, wie man hexte. Sie zeigten ihnen, wie man wusste, was man tat.“ Wäre es nicht schön, wenn wir alle die Worte dieses Zitates verinnerlichen und damit der nächsten Generation Hexen den Weg in eine bessere Gesellschaft ebnen könnten?

Für Jugendliche empfiehlt sich das gleich zu Beginn des Buches von Chollet erwähnte Werk „Die Kinder des Glasbläsers“ der schwedischen Schriftstellerin Maria Gripe, dessen Hauptfigur Flaxa Mildwetter M. Chollet bereits in ihrer Jugend inspiriert hat.

Cover des Buches "Hexen - die unbesiegte Macht der Frauen" von Mona Chollet

Hexen – unbesiegte Macht der Frauen

Mona Chollet

Nautilus, 288 Seiten

20,00 Euro

ist Chefredakteurin bei Alerta und seit ihrer Jugend politisch aktiv. Ihre inhaltlichen Schwerpunkte reichen von der deutschen Vergangenheit bis hin zu politisch progressiven Themen der Gegenwart – sowohl in der Literatur als auch in der Praxis. Die gebürtige Münchnerin liest, schreibt und lebt derzeit im Chiemgau.

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