Warum die Nazis keine Sozialisten waren

Die Behauptung, dass die Nationalsozialisten „links“ waren, hält einer näheren ideologischen Betrachtung kaum stand. Selbst der antikapitalistische Flügel der NSDAP hatte mehr mit Faschismus als mit Sozialismus zu tun.
Adolf Hitler marschiert 1926 mit anderen Nationalsozialisten durch das Zentrum von Weimar. Er war bereits der unbestrittene Führer.
Foto: Gemeinfrei

“Das Wort Sozialismus bezeichnet nicht die tiefste, aber die lauteste Frage der Zeit. Jeder gebraucht es. Jeder denkt dabei etwas andres.”

Der Nationalsozialismus war mehr als die NS-Diktatur, auch wenn er größtenteils auf die Zeit zwischen 1933 und 1945 beschränkt wird. Durch ihre brutale Vorgehensweise und zahllose Verbrechen gaben die Nationalsozialisten eine klare Vorstellung dessen, was der Nationalsozialismus verkörpert. Es wäre jedoch ein Fehler, den Nationalsozialismus als eine Bewegung zu betrachten, die durch ihre Geschichte hindurch homogen war.

So gab es neben dem prominenten und einflussreichsten Flügel um Hitler im Süden auch einen antikapitalistischen, sogenannten “linken Flügel“ der Partei um die Brüder Gregor und Otto Strasser im Norden Deutschlands. Ihre Ideologie basierte größtenteils auf dem 1920 verabschiedeten 25-Punkte-Programm der NSDAP. Auch wenn sich dieser Flügel betont sozialistisch gab, hatte er mehr mit dem europäischen Faschismus der Zwischenkriegszeit zu tun, als mit dem linken Sozialismus, wie eine genauere Betrachtung der politischen Ideologie zeigt.

Rückgriff ins 19. Jahrhundert

Der Begriff „Nationalsozialismus“ entstand in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und war sowohl im deutsch- als auch im französischsprachigen Raum zu finden. Die Gebrüder Strasser nahmen die beiden Begriffe „Nationalismus” und “Sozialismus“ wörtlich und beraubten sie jedes unliebsamen Details. Während sie den wirtschaftlichen und politischen Liberalismus verachteten, waren sie dem schwelenden Nationalismus des liberalen Bürgertums zugetan. Der Sozialismus mit seiner Anziehungskraft in der Arbeiterklasse sollte vom Marxismus befreit werden, wie es Oswald Spengler 1919 forderte. So schmiedeten die Brüder Strasser ihre vage Version des Nationalsozialismus aus zwei sterilisierten Konzepten des 19. Jahrhundert.

Oberflächlich betrachtet schließen sich Liberalismus und Sozialismus gegenseitig aus, obwohl sie bestimmte Merkmale, wie etwa den Internationalismus, gemeinsam haben. Der Liberalismus wurde nicht nur als nationaler Parlamentarismus verstanden, sondern auch als internationaler Kapitalismus. Nach dem Vertrag von Versailles war Deutschland in hohem Maße vom ausländischen Kapital abhängig. Die antikapitalistische Stimmung, gestützt durch einen rachsüchtigen Nationalismus, war ein Mittel, um die Massen aufzuwiegeln – auch die Arbeiterklasse. Ein deutscher Kommunist vertraute sich 1933 dem französischen Journalisten und libertären Kommunisten Daniel Guérin an: „Wir Deutschen, auch die Kommunisten, haben all unser Unglück auf das Diktat geschoben, sogar auf die Weltwirtschaftskrise. Wir betrachteten das ausländische Kapital als unseren Hauptfeind.“

Die ideologische Annäherung zwischen Kommunisten und Nationalsozialisten war oberflächlich und von kurzer Dauer. Die Prämissen der beiden Ideologien hätten unterschiedlicher nicht sein können. Der Marxismus basiert auf dem Materialismus, während der Nationalsozialismus in ihm den Untergang der westlichen Zivilisation sah. Dies ist das gemeinsame Merkmal aller europäischen faschistischen Bewegungen: Mussolini lehnte den Materialismus genauso ab, wie der spanische Nationalsyndikalist José Antonio Primo de Rivera, der behauptete, dass „der Sozialismus, der eine legitime Reaktion gegen die liberale Versklavung war, […] in die Irre ging: Er akzeptierte die materialistische Interpretation des Lebens“. 

Die spanischen Nationalsyndikalisten sind ein ganz besonderer Fall. Erstens haben sie, genau wie der Nationalsozialismus, einen traditionellen linken Begriff in ihren Namen aufgenommen. Zweitens teilen sie die marxistische Analyse des Kapitalismus und nutzen sie als Grundlage für ihren faschistischen Antikapitalismus. Dennoch verstehen sie sich als Antimarxisten. „Wir wollen die Erfüllung der Voraussagen von Karl Marx verhindern – weil wir seinen Behauptungen glauben.“

Auch die Strasser Brüder glaubten, dass die dem Materialismus innewohnende Gier die Menschen korrumpieren und versklaven würde. Vor allem aber ermöglicht der Materialismus einen internationalen Ansatz. Indem der Mensch durch sein sozioökonomisches Umfeld definiert wird, hat ein deutscher Arbeiter mehr mit einem englischen Arbeiter gemeinsam als mit einem deutschen Kapitalisten. Dies ist den Nationalisten ein Dorn im Auge.

Für sie ist der Mensch an die Nation gebunden und nicht an seine sozioökonomischen Bedingungen. Die Beziehung zwischen Nation und Individuum ist organisch und natürlich: Ein Volkskörper, der wie eine biologische Einheit funktioniert. Jedem Menschen wird eine bestimmte Aufgabe zugewiesen. Störende Elemente im Körper müssen zerstört werden, sonst erkrankt der Volkskörper und stirbt schließlich. Der Materialismus hingegen galt als menschengemacht und unnatürlich – ein unangenehmes Überbleibsel der Aufklärung.  Zeev Sternhell zufolge ist die „Ablehnung des Erbes der Aufklärung und der Französischen Revolution und später die Schaffung einer umfassenden Alternative“ ein Schlüsselelement des Faschismus.

Wie Mussolini und Primo de Rivera verbanden die Brüder Strasser den Materialismus mit dem Kapitalismus und warfen dem Kommunismus vor, dieses System lediglich umzukehren. Um das Volk vom Joch des Materialismus zu befreien, sei eine moralische Wiedergeburt notwendig – mit anderen Worten eine Revolution, die die Nation und ihre ewigen Werte in den Mittelpunkt stellt. Die Novemberrevolution von 1918 wurde von den Nationalsozialisten als rein „marxistisch“ und damit materialistisch abgetan. Sie hat den nationalen Geist nach einer demütigenden und aufgezwungenen Niederlage nicht wiederbelebt.

Nationale Konterrevolution

“War das die große deutsche Revolution? Wie flach, wie flau, wie wenig überzeugt war das alles”, spottete Spengler über die Revolution von 1918. Sein Einfluss auf Gregor Strassers Denken ist unverkennbar. Indem sie die Novemberrevolution ins Lächerliche zogen, konnten sich die Nationalsozialisten als echte Revolutionäre präsentieren, die darauf abzielten, die Bindungen zu den alten Systemen vollständig zu lösen und eine neue, auf Idealismus basierende Ordnung zu schaffen.

Es gab also nur eine einzige deutsche sozialistische Revolution, über die sich Spengler, Strasser und Hitler einig waren: August 1914, der Beginn des Ersten Weltkriegs. Der bald darauf folgende „Sozialismus im Schützengraben“ führte dazu, dass die deutschen Arbeiter der „giftigen Seuche“ des Marxismus abschworen, wenn man Hitler Glauben schenken wollte. Stattdessen klebte der glühende Nationalismus die Deutschen wie Leim zusammen und bildete die gewünschte organische Einheit.

„Weil wir in den Schützengräben nationalistisch wurden, konnten wir nicht anders, als in den Schützengräben Sozialisten zu werden”, sagte Gregor Strasser und fuhr fort zu erklären, wie wichtig es für den Einzelnen ist, sich für das Wohl der Nation einzusetzen. In den Augen der Nationalsozialisten hat der Krieg das Beste aus den Deutschen herausgeholt, und sie hätten gewonnen, wenn ihnen nicht Politiker und Menschen in den Rücken gefallen wären, die den Materialismus dem Nationalismus vorzogen.

Als im November 1918 der Waffenstillstand verkündet wurde, kehrten viele Soldaten nicht als Pazifisten zurück. Sie hatten während des Krieges die Kameradschaft erlebt, ihre Individualität für die Nation aufgegeben und waren bereit, sich für das Wohl Deutschlands zu opfern. Die Niederlage gegen einen inneren Feind, wie sie glaubten, machte die Niederlage noch bitterer. Mit Gewalt und bewaffneten Konflikten im Hinterkopf waren sie bereit, es den Verrätern heimzuzahlen – wenn nicht sofort, dann zu einem späteren Zeitpunkt.

Keine Hitler-Opposition

Es ist wichtig zu bedenken, dass der antikapitalistische Flügel der NSDAP nicht in Opposition zu Hitler stand. Ganz im Gegenteil: Die Brüder Strasser und der junge Joseph Goebbels waren der Meinung, dass Hitler von den völkischen, antisozialistischen Münchner Eliten wie Alfred Rosenberg und Julius Streicher negativ beeinflusst wurde. Goebbels notierte: „Es tut mir in der Seele weh, wenn ich Dich [Hitler] in der Gesellschaft seh!!!“.

Daher versuchte der antikapitalistische Flügel, Hitler auf ihre Seite zu ziehen, indem sie die Partei an ihre antikapitalistischen Ursprünge zu binden versuchte. Sie entwarfen in Hannover ein Programm, das das 25-Punkte-Programm von 1920 ersetzen sollte. Historiker sind sich einig, dass das Hannoveraner Programm größtenteils eine Präzisierung des ursprünglichen Parteiprogramms darstellte. Es gab jedoch auch abweichende Punkte, wie die Bamberger Konferenz im Februar 1926 zeigte.

Als Hitler 1924 aus dem Gefängnis entlassen wurde, gründete er sofort wieder die NSDAP, die nach dem gescheiterten Staatsstreich von 1923 verboten worden war. Diesmal sollte die Partei jedoch nach dem Führerprinzip organisiert werden, wodurch Hitler zum unbestrittenen Führer der Partei und der nationalsozialistischen Bewegung wurde. Der Fehler der Brüder Strasser und Goebbels bestand darin, anzunehmen, dass Hitler ihre Version des Nationalsozialismus teilte. Schließlich hatten sie viele Gemeinsamkeiten: glühender Nationalismus, Antisemitismus und Antimarxismus.

Hitler wandte sich jedoch von der nationalen Revolution ab und einem legalistischen Ansatz zu. Er hatte auch nicht die Absicht, den Kapitalismus zu stürzen. Seine treibende Kraft war die rassistisch-antisemitische Weltanschauung, die er in Mein Kampf entwickelt hatte, während er im Gefängnis saß. Verärgert über die Existenz des Hannoverschen Programms berief Hitler im Februar 1926 die Bamberger Konferenz ein, um die Einheit der Partei wiederherzustellen.

Es ist wichtig zu verstehen, dass die Allmacht des Führers über allen ideologischen Streitigkeiten stand. Hitler hielt bewusst an dem vagen 25-Punkte-Programm fest, da er es für unwichtig hielt, während der antikapitalistische Flügel Hitler an das binden wollte, was ihrer Meinung nach seine ursprünglichen Wurzeln waren: Die nationale Revolution und der Sturz des Kapitalismus.

Wie aus den Tagebüchern von Goebbels hervorgeht, muss es ein Schock gewesen sein, als Hitler in Bamberg seine Haltung klarstellte: Russland und der Bolschewismus seien der Hauptfeind Deutschlands, Bündnisse mit Italien und Großbritannien seien vorzuziehen. Die NSDAP werde die Enteignung des Fürsteneigentums, wie sie eine bevorstehende Volksabstimmung forderte, nicht unterstützen. Goebbels notierte seinen Unglauben in seinem Tagebuch: „Ich bin wie geschlagen. Welch ein Hitler? Ein Reaktionär?“

Hitler bestrafte bewusst keine Mitglieder des Strasser-Flügels. Dennoch hatte sich gezeigt, dass es zu einem ideologischen Bruch kommen konnte. Der antikapitalistische Flügel hatte andere Vorstellungen von der Außenpolitik, da sie fest an das Selbstbestimmungsrecht der Völker und nicht an deren Unterwerfung glaubten.

Hitler vs. Strasser

Otto Strasser definierte die nationalsozialistische Bewegung als antiimperialistisch und unterstützte dementsprechend den indischen Unabhängigkeitskampf gegen die Briten. In der deutschen Außenpolitik forderte der antikapitalistische Flügel lediglich die Wiederherstellung der deutschen Grenzen von 1914, d. h. die Revision des Versailler Vertrages, während Hitler aufgrund seiner rassistischen Ansichten Lebensraum im Osten und die Niederlage des bolschewistischen Russlands forderte. Der Strasser-Flügel hingegen befürwortet ein Bündnis mit der Sowjetunion.

Bei einem privaten Treffen im Jahr 1930 teilte Otto Strasser Hitler mit, dass er nicht an den menschlichen Fortschritt glaube. „Die Menschen haben sich in den letzten tausend Jahren nicht verändert. Ihr Körperbau mag sich verändert haben und ihre Lebensbedingungen, aber mehr nicht.“ Genau aus diesem Grund setzten die Brüder Strasser auf den Idealismus, da dies die einzige Konstante des Lebens und der Geschichte sei. Hitler hingegen glaubte an den Fortschritt der Menschheit in Form eines rassisch-biologischen Kampfes, der auf dem Recht des Stärkeren beruht. Der Determinismus ist die treibende Kraft von Hitlers Politik, und alles wurde ihr unterworfen – sogar die deutsche Wirtschaft, wie der Holocaust zeigen würde.

Wäre es nach dem Strasser-Flügel gegangen, hätte Deutschland dem Kapitalismus ein für alle Mal den Rücken gekehrt. Der Staatsfeudalismus würde das deutsche Volk von der kapitalistisch-materialistischen Unterdrückung befreien. Der Staat würde dem Volk Eigentum verpachten, über das es nach Herzenslust verfügen könne. Die Schlüsselindustrien würden verstaatlicht werden. Hitler ging es nur darum, die Weimarer Demokratie zu stürzen, nicht die Wirtschaft. Obwohl die Wirtschaftspolitik der NSDAP bei ihrem Machtantritt im Januar 1933 eher vage war, gab die Abschwächung von Punkt 17 des Parteiprogramms (Enteignung von Grund und Boden für gemeinnützige Zwecke) im Jahr 1928 einen Einblick in Hitlers Denken. Er betonte, dass seine Partei Privateigentum respektieren würde, solange es nicht jüdisch sei.

Hitler versuchte, Otto Strasser durch Bestechung zum Schweigen zu bringen: Er bot an, den „Kampfverlag“, der Strassers Zeitungen vertrieb, für 120 000 Reichsmark zu kaufen. Strasser lehnte ab und ließ sich von Hitlers Drohungen und Angeboten nicht beirren. Der Höhepunkt ihres Streits fand bei dem bereits erwähnten privaten Treffen in Berlin statt. Dies war der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Unzufrieden mit der Richtung, in die sich die NSDAP bewegte, verließen Strasser und einige seiner Mitstreiter die Partei. Die Erklärung mit dem treffenden Titel „Die Sozialisten verlassen die NSDAP“ wurde am 04. Juli 1930 veröffentlicht. Strasser warf Hitler vor, den ursprünglichen revolutionären und antikapitalistischen Charakter des Nationalsozialismus zu verraten. Mit seinem Austritt aus der Partei brach Otto Strasser auch mit seinem Bruder Gregor, der Hitler die Treue hielt.

Sein Austritt hat jedoch nicht die geringsten Auswirkungen auf die NSDAP. Am nächsten Tag notiert Goebbels in sein Tagebuch: “Gefährlich ist das aber nicht. Nur viel Geschrei in der Presse. Aber das vergeht ja wieder. […] Ich bin nun froh, daß es so weit ist. Die Partei […]  wird radikal gereinigt.” Der ehemalige Revolutionär Goebbels, der einst den Ausschluss des „Kleinbürgers“ Hitler aus der NSDAP forderte (laut Otto Strasser), weil er die Enteignung des aristokratischen Eigentums nicht unterstützte, hatte sich zu seinem größten Gefolgsmann gewandelt.

Eineinhalb Jahre nach der Machtübernahme ließ Hitler in der berüchtigten „Nacht der langen Messer“ die innerparteiliche Opposition ausmerzen. Zu den Opfern der Nationalrevolutionären gehörte nicht nur der SA-Führer Ernst Röhm, sondern auch Gregor Strasser. Er bezahlte seine Loyalität zu Hitler mit dem Leben. Sein Bruder Otto war zu diesem Zeitpunkt bereits ins Ausland geflohen.

"Kommandowirtschaft"

Nach dem Austritt Otto Strassers nahm die NSDAP landesweit Fahrt auf. Obwohl einige Industrielle bereits zu prominenten Unterstützern der Nazis geworden waren, mussten andere noch überzeugt werden. Denn warum sollten sie eine „sozialistische Arbeiterpartei“ unterstützen? Als Hitler am 30. Januar 1933 zum Reichskanzler ernannt wurde, versicherten sowohl er als auch Göring den Industriellen, dass wirtschaftliche Experimente nicht zu befürchten seien, und das war tatsächlich der Fall. Dennoch wagten sich die Nationalsozialisten vorsichtig an die Lenkung der Wirtschaftspolitik heran.

Hitler ernannte den ehemaligen liberalen Politiker Hjalmar Schacht  zum Präsidenten der Reichsbank, und 1934 auch zum Wirtschaftsminister. Inspiriert von Roosevelts New Deal verkündete Schacht den „Neuen Plan“. Er zielte darauf ab, die deutschen Exporte zu steigern, die Importe zu begrenzen und das öffentliche Arbeitsprogramm auszuweiten, um Arbeitsplätze zu schaffen.

Die Wirtschaftspolitik der Nazis verfolgte zwei langfristige Ziele: Die Umwandlung Deutschlands in ein autarkes Land und die Vorbereitung auf den Krieg. Natürlich waren diese Ziele miteinander verwoben: Die Autarkie sollte die Grundlage für das wirtschaftliche Überleben im Krieg sein, da die ausländischen Handelspartner im Falle eines Krieges ihre Geschäfte mit Deutschland einstellen würden. Der „Neue Plan“ konnte jedoch nicht die notwendigen Mittel bereitstellen, um Deutschland kriegsbereit zu machen. Daher wurde er 1936 durch den Vierjahresplan ersetzt, der (Außen)Politik, Rüstung und Wirtschaft eng miteinander verknüpfte. Der deutsche Wirtschaftshistoriker Dietmar Petzina fasste den Modellcharakter des Vierjahresplans so zusammen:

“Er stellte den ersten Versuch eines hochindustrialisierten Landes dar, eine staatlich reglementierte ‘Kommandowirtschaft’ auf der Grundlage eines privatkapitalistischen Systems zu errichten, um damit die deutsche Wirtschaft in einem bisher unbekannten Ausmaß den politischen Zielen des Staates unterzuordnen.”

Die Nationalsozialisten verstaatlichten kaum private Firmen. Stattdessen boten sie den strategisch wichtigen Industrien sogar verschiedene Verträge zur Auswahl an. Enteignung und Verstaatlichung wurden nur als diskriminierende Mittel gegen jüdischen Besitz und jüdische Geschäftsinhaber eingesetzt.

Die tatsächliche Wirtschaftspolitik der Nationalsozialisten unterschied sich also stark von dem, was der antikapitalistische Flügel der NSDAP vorgeschlagen hatte. Der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei ging es nicht so sehr um “linken” Sozialismus oder die sozioökonomischen Interessen der Arbeiter·innen.

Es ging darum, eine klassenübergreifende Einheit all jener Menschen zu schmieden, die sie für deutsch hielten. Obwohl die Nazis den Liberalismus verachteten, griffen sie das Privateigentum nicht an, solange es nicht jüdisch war. Obwohl sie sich selbst als Sozialisten bezeichneten, hatten die Nazis nur sehr wenig mit ihnen gemeinsam. Die antikapitalistische Rhetorik der Brüder Strasser war hilfreich, um Teile der Arbeiterklasse an die Nazis zu binden. Hitlers totale Macht innerhalb der Partei setzte jedoch jede von ihm abweichende Ideologie außer Kraft, selbst wenn sie dem eigentlichen Parteiprogramm näher war. Der Führer war das Programm. Er befahl und man gehorchte.

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ist Chefredakteur und Gründer von Alerta. Sein Interesse gilt insbesondere der linken und antifaschistischen Geschichte und Kultur. Er lebt und schreibt in Saragossa/Spanien.

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